WISSEN
Die Welt der Materie

Ultraschnelle Prozesse

Mit ausgeklügelten Methoden lassen sich ultraschnelle Prozesse auf Atomebene verfolgen. Das liefert Erkenntnisse über die Struktur und Funktion von Materie – und erlaubt es, diese gezielt zu manipulieren.

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Die Einheitenvorsätze der Nanowelt

  • Nano 0,000 000 001
  • Piko 0,000 000 000 001
  • Femto 0,000 000 000 000 001
  • Atto 0,000 000 000 000 000 001
Eine Femtosekunde ist also eine Billiardstel Sekunde, ein Nanometer ein Milliardstel Meter.

In zahlreichen physikalischen, chemischen und biologischen Systemen laufen Prozesse ab, die schneller sind als alles Alltägliche: Sie dauern nur Bruchteile von Femtosekunden (1 fs = 10−15 s) bis zu einigen Pikosekunden (1 ps = 10−12 s). Die Ultrakurzzeitphysik erfasst derartige Vorgänge zeitaufgelöst mit Methoden der Spektroskopie und der Strukturforschung. In Verbindung mit Theorie und Simulation lassen sich aus ultraschnellen Abläufen quantitative Informationen darüber gewinnen, wie bestimmte Wechselwirkungen die Funktion oder Struktur eines Materials auf atomaren Längen- und Zeitskalen beeinflussen. Neben der Grundlagenforschung kommen die Methoden der Ultrakurzzeitphysik auch im Bereich bildgebender Verfahren, in der Materialbearbeitung und in der Telekommunikation zum Einsatz.

Längen- und Zeitskalen in der atomaren Welt hängen zusammen. Um also Prozesse, die durch die Elektronen der beteiligten Atome vermittelt werden, zu beobachten, müssen Vorgänge im Bereich von Piko-, Femto- oder Attosekunden aufgezeichnet werden. Gleichzeitig ist eine sehr hohe räumliche Auflösung notwendig, weil diese Prozesse auf sehr kleinem Raum auf der Skala von Nanometern stattfinden.

Methoden der Ultrakurzzeitphysik

Das zentrale Werkzeug der Ultrakurzzeitphysik sind Lichtimpulse, die heute in einem Frequenzbereich vom fernen Infrarot (Terahertzbereich) bis zu harter Röntgenstrahlung zur Verfügung stehen. Die Impulse dauern zwischen ca. 50 Attosekunden und einigen Hundert Femtosekunden. Sie lassen sich im Labor mithilfe von Lasern und Methoden der nichtlinearen Optik erzeugen. Daneben liefern Großgeräte wie Freie-Elektronen-Laser ultrakurze Lichtimpulse im Bereich des extrem Ultravioletten ­(EUV/XUV) und der weichen und harten Röntgenstrahlung. Die mittleren optischen Leistungen betragen bis zu einige Watt, die Spitzenintensitäten räumlich fokussierter Impulse bis zu ­1020 W/cm2. Die zeitlichen und spektralen Eigenschaften ultrakurzer Lichtimpulse lassen sich in weiten Bereichen kontrolliert verändern und quantitativ charakterisieren. Neben ultrakurzen Lichtimpulsen lassen sich auch Femtosekunden-Elektronenimpulse erzeugen.

Die zeitaufgelöste Ultrakurzzeitspektroskopie beruht vorwiegend auf der aufeinanderfolgenden nichtlinearen Wechselwirkung von mindestens zwei ultrakurzen Impulsen mit der zu untersuchenden Probe. Bei der Anrege-Abtast-Methode erzeugt der erste Impuls eine Anregung, deren Dynamik mittels eines zweiten Impulses über die nichtlineare Veränderung optischer Eigenschaften, z .B. der Probenabsorption, verfolgt wird. Durch wiederholte Messungen zu verschiedenen Verzögerungszeiten des Abtastimpulses relativ zum Anregungsimpuls werden Einzelschritte des Ablaufs erfasst und damit die Dynamik des Prozesses rekonstruiert. Die Zeitauflösung ist durch die Dauer der beiden Impulse, die Genauigkeit ihrer Synchronisation und ggf. durch den Durchlauf des Impulses durch die Probe bestimmt. Neben dieser Anrege-Abtast-Methode stehen Verfahren der nichtlinearen Vierwellenmischung zur Verfügung, bei der eine Abfolge von drei Lichtimpulsen zum Einsatz kommt. Diese Methode kann Einblick in zeitabhängige optische Polarisationen geben.

Experimente mit intensiven Lichtimpulsen erschließen Bereiche der Licht-Materie-Wechselwirkung, die sich nicht mit anderen Methoden erfassen lassen. Hierbei wird die Kopplung an das optische Feld deutlich stärker als die Kopplungen elementarer Anregungen innerhalb des Probenmaterials. Für die Erzeugung von ultrakurzen Lichtimpulsen erhielten Anne L’Huillier, Pierre Agostini und Ferenc Krausz 2023 den Nobelpreis für Physik. Bei der ausgezeichneten Methode erzeugt ein Lichtimpuls in einem Edelgas freie Elektronen. Kehrt das Elektron zum ionisierten Atom zurück, so kann durch Rekombination Licht bei hohen Vielfachen der ursprünglichen optischen Frequenz mit einer Attosekunden-Zeitstruktur erzeugt werden – also kürzer als alles vorher Dagewesene.

Während die optische Ultrakurzzeitspektroskopie nichtlineare Veränderungen der dielektrischen Funktion ausnutzt, liefern Methoden der zeitaufgelösten Röntgen- und Elektronenstreuung einen direkten Zugang zu vorübergehenden Strukturen auf atomaren Längenskalen. Hierbei werden optisch induzierte Änderungen der atomaren Anordnung und/oder des elektronischen Systems durch Streuung eines Röntgen- oder Elektronen-Abtastimpulses an der angeregten Probe sichtbar gemacht. Die Sequenz der Streu- oder Beugungsmuster erlaubt die unmittelbare Rekonstruktion zeitabhängiger atomarer Abstände und/­oder Ladungsverteilungen, etwa bei Phasenübergängen oder chemischen Reaktionen.

Elektronen in flüssiger Umgebung

Das elektrische Feld in Wasser (H2O) fluktuiert auf ultrakurzen Zeitskalen und erreicht Spitzenwerte von 200 MV/cm. Damit lassen sich Wassermoleküle spontan ionisieren. Ein Lichtimpuls im THz-Frequenzbereich beschleunigt die so erzeugten Elektronen von ihrem Erzeugungsort über eine Nanometerentfernung in die Wasserumgebung, wo sie lokalisieren. Die Elektronen sind über die Erniedrigung des Brechungsindex der Flüssigkeit nachweisbar (Punkte). Zum Vergleich zeigen die durchgezogenen Linien den Realteil Re(n) und Imaginärteil Im(n) des Brechungsindex von nicht angeregtem Wasser.
Ultraschnelles Transmissions-Elektronenmikroskop (UTEM): Ein Laserimpuls (rot) induziert eine elektronische Anregung in der untersuchten Probe, und die in einer Photokathode erzeugten Elektronenimpulse bilden die resultierende strukturelle Änderung in Transmissions-Beugung oder Mikroskopie ab.

Ein Beispiel aktueller Grundlagenforschung der Ultrakurzzeitphysik sind Prozesse, die aufgrund elektrischer Felder in Flüssigkeiten stattfinden. In Wassermolekülen (H2O) zum Beispiel ist die Ladung räumlich nicht gleich verteilt: Die Moleküle besitzen ein elektrisches Dipolmoment – und dies hat einige Konsequenzen: Im flüssigen Zustand führt dies etwa zu lokalen elektrischen Feldern von bis zu 200 MV/cm! Weil sich die Moleküle aber bewegen, fluktuieren Richtung und Stärke dieser Felder auf einer Femtosekunden-Zeitskala. In derart starken Feldern kann ein Elektron im H2O-Molekül sich aus seiner Bindung lösen und dank des quantenmechanischen Tunneleffekts in die umgebende Flüssigkeit gelangen. Zurück bleibt ein positiv geladenes H2O+-Ion. Im thermischen Gleichgewicht finden das Ion und das Elektron schnell wieder zusammen, da das fluktuierende äußere Feld keine dauerhafte räumliche Ladungstrennung erlaubt. In einem äußeren elektrischen Feld ausreichender Stärke lässt sich das Elektron allerdings vom Ionisationsort entfernen und die Ladungsrekombination weitgehend unterdrücken.

Dies zeigen Experimente, bei denen Impulse im fernen Infrarot, dem sogenannten Terahertz-(THz)-Frequenzbereich, das äußere Feld bereitstellen. Bei einer Wellenlänge von 300 µm beträgt die Impulsdauer ca. eine Pikosekunde. Die Amplitude des elektrischen Felds ist wesentlich kleiner als das ionisierende Feld der Flüssigkeit und löst damit selbst keine Ionisation aus. Jedoch werden durch spontane Ionisation freigesetzte Elektronen in Richtung des THz-Felds über viele Nanometer von ihrem Erzeugungsort wegbewegt und finden sich nach einer Neuorientierung der Wassermoleküle in einem energetisch stabilen Zustand ein. Dieser Ablösungsprozess erfolgt innerhalb einiger Zehntel Pikosekunden. Die Ladungstrennung und die Lokalisierung der Elektronen lassen sich mit ultrakurzen Abtastimpulsen nachweisen: entweder über die optische Absorption der lokalisierten Elektronen im nahen Infrarot oder die Veränderung des Brechungsindex der Flüssigkeit für THz-Wellen. Für eine irreversible Trennung von Elektron und Mutterion muss das äußere THz-Feld so stark sein, dass das Elektron die Ionisationsenergie eines Wassermoleküls erreicht.

Die ultraschnelle Lokalisierung der Elektronen stößt kollektive Schwingungen der gelösten Elektronen und ihrer Wasserhüllen an. Dies führt zur Emission von THz-Wellen, die sich messen lassen. Detaillierte Experimente zeigen, dass die Frequenz vom lokalen elektrischen Feld und damit von der Elektronenkonzentration abhängt. Überraschend ist die sehr geringe Dämpfung dieser Polaronen genannten Schwingungen. Das liegt daran, dass die Schwingungsbewegung longitudinal ist: Sie koppelt schwach an die fluktuierenden Kräfte in der Umgebung und wird deshalb nur wenig gedämpft. Die Schwingung beeinflusst auch die Ladungsverteilung des beteiligten Kollektivs, was zur Abstrahlung von THz-Wellen führt. Eine theoretische Analyse stimmt mit den gemessenen Frequenzen überein.

Diese Ergebnisse geben Einblick in bisher unbekannte feldgetriebene Prozesse in Flüssigkeiten – nicht nur in Wasser, sondern beispielsweise auch in Alkoholen. Die zeitaufgelöste nichtlineare THz-Spektroskopie hat ein großes Potenzial für die Aufklärung kollektiver schwacher Wechselwirkungen in ungeordneten Systemen. Darüber hinaus zeigen die Untersuchungen, wie sich die elektrischen Eigenschaften von Flüssigkeiten dank maßgeschneiderter starker THz-Felder manipulieren lassen. 

Ultraschnelle Elektronenmikroskopie und -beugung

Die ultraschnellen Änderungen in der Kristallstruktur von Tantal-Disulfid durch einen Laserimpuls werden im UTEM sichtbar. Im oberen Bild ist die schematische Umordnung in der Größe überzeichnet. Die unteren vier Abbildungen zeigen das Beugungsbild zu vier verschiedenen Zeitpunkten: Unmittelbar vor dem Laserblitz (−1 ps) sind die Positionen klar erkennbar, unmittelbar danach (1 ps bzw. 2 ps) verschwimmen die Beugungsbilder, was auf den Umordnungsprozess selbst hindeutet. Nach 100 ps hat die Struktur ihre neue Form eingenommen, was am Drehwinkel und den wieder scharfen Beugungsbildern erkennbar ist.

Ein weiteres faszinierendes Beispiel für einen ultraschnellen Prozess ist der Wechsel eines Materials vom metallischen in den isolierenden Zustand – und umgekehrt. Dabei verändern sich nicht nur die atomare Struktur des Materials, sondern auch seine elektronischen Eigenschaften. Im thermischen Gleichgewicht lassen sich diese Änderungen durch eine Variation der Temperatur auslösen: Unterhalb einer kritischen Temperatur erfahren viele Materialien mit richtungsabhängigen Eigenschaften (Anisotropie) einen spontanen Symmetriebruch in ihrem Kristallgitter. Dadurch entsteht eine wellenförmige Verzerrung des Gitters, eine sogenannte Ladungsdichtewelle. Diese Struktur entsteht, weil sich die Energieniveaus der Elektronen verändern, Bandlücken entstehen und dies die Gesamtenergie des Systems absenkt. Als Folge der Bandlücken sinkt die elektrische Leitfähigkeit teils um viele Größenordnungen.

Mit den Methoden der Ultrakurzzeitphysik ist es möglich, solche Materialien aus ihrem Gleichgewichtszustand herauszubringen und die genauen Wechselwirkungen zwischen Gitter und Elektronen zu untersuchen. Beispielsweise kann ein kurzer Laserimpuls Elektronen in energetisch höhere Zustände oberhalb der Bandlücken anheben. Dies verringert die ursprüngliche energetische Stabilisierung der Ladungsdichtewelle, wodurch gleichmäßige Schwingungen der Welle und der dazugehörigen Gitterverzerrung ausgelöst werden. Wird die Anregung durch den Laser stark genug, bricht die Bandlücke komplett zusammen, und das Material wechselt in einen metallischen Zustand – ein laserinduzierter Phasenübergang.

Ein derzeit intensiv untersuchtes Material, bei dem solche laserinduzierten Übergänge auftreten, ist Tantal-Disulfid. Dieses Schichtmaterial zeigt bei unterschiedlichen Temperaturen verschiedene ladungsgeordnete Phasen. Bei Raumtemperatur bildet sich eine hexagonale Überstruktur mit 13 Tantal-Atomen pro Einheitszelle, wobei das Gitter zu einem zentralen Atom hin kontrahiert ist. Wird das Material auf über 80 Grad Celsius erhitzt, dreht sich die Überstruktur leicht, und die Atome verschieben sich gegenüber dem ursprünglichen Gitter. Diese unterschiedlichen Kristallstrukturen lassen sich mit zeitaufgelösten Elektronenbeugungsexperimenten sichtbar machen. Neben der Analyse anhand von Beugungstechniken ermöglicht die ultraschnelle Elektronenmikroskopie heute auch direkte Abbildungen dieser rasanten Strukturveränderungen im Realraum, etwa mithilfe von Dunkelfeldkontrast. Insgesamt stehen mittlerweile vielfältige hochentwickelte Elektronen- und Röntgenmethoden zur Verfügung, um ultraschnelle Strukturänderungen präzise zu untersuchen.

Thomas Elsaesser und Claus Ropers