WISSEN
Das Kleinste und das Größte

Die Entstehung der Elemente

Das Periodensystem verzeichnet 118 chemische Elemente, von denen 94 natürlich auf der Erde vorkommen. Die meisten von ihnen gibt es sogar in verschiedenen Varianten, den Isotopen. Doch warum gibt es überhaupt so viele verschiedene Elemente, und wie sind sie entstanden? Fragen darauf liefern Kernphysik und Astrophysik gemeinsam.

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„Astrophysik ist oft angewandte Kernphysik“: So fasste Physik-Nobelpreisträger Willy Fowler launig zusammen, dass kernphysikalische Prozesse einen entscheidenden Anteil an der Entwicklung vieler astrophysikalischer Objekte haben und so die Entstehung der Elemente im Universum ermöglichen. Die Elementsynthese begann schon in den ersten drei Minuten nach dem Urknall – also lange bevor es Sterne gab. Damals bestand das heiße Universum aus Protonen und Neutronen. Es gab auch zahlreiche Elektronen, doch bis diese sich mit den Kernbestandteilen zu Atomen verbanden, dauerte es noch 380 000 Jahre. Für die primordiale Elemententstehung spielen die Elektronen keine Rolle. Mit der Expansion und der damit verbundenen Abkühlung verbanden sich die Kernteilchen zu ersten Atomkernen. Hierbei wurden die Neutronen fast alle in Heliumkernen eingebettet – bestehend aus zwei Protonen und zwei Neutronen. Während freie Neutronen nach einer mittleren Lebensdauer von knapp 15 Minuten zerfallen, konnten sie in den Heliumkernen bis heute bestehen bleiben. Die erstmalige Elementent­stehung direkt nach dem Urknall Das Ergebnis dieser primordialen Nukleosynthese war beschränkt auf die leichtesten Elemente: 75% Wasserstoff, 25% Helium und Spuren von Lithium. Diese theoretisch bestimmten Häufigkeiten der primordialen Nukleosynthese stimmen sehr gut mit den Beobachtungen überein und sind ein bedeutender unabhängiger Test des SM der Kosmologie.

Elemententstehung in Sternen

Die Hauptproduzenten der Elemente sind seitdem die Sterne. Je nach ihrer Masse verbringen sie viele Millionen bis Milliarden Jahre in einem Gleichgewicht aus Schwerkraft und Energiefreisetzung und leuchten. Die dafür notwendige Energie beziehen sie aus Kernreaktionen in ihrem Inneren. Dabei fusionieren leichte zu schwereren Kernen. In einer ersten und am längsten andauernden Phase verbrennen Sterne Wasserstoff zu Helium, was als Wasserstoffbrennen bekannt ist. Die Sonne befindet sich seit mehr als 4,5 Milliarden Jahren in dieser Phase. Einige der Kernreaktionen erzeugen dabei Neutrinos, deren Beobachtung nicht nur die Vorstellungen des Fusionsreaktors im Inneren der Sonne, sondern auch die Existenz von Neutrinooszillationen (siehe auch Seite 45) bestätigten. Es ist ein Triumph der nuklearen Astrophysik, dass die Kernprozesse im Zentrum der Sonne mittlerweile so gut verstanden sind, dass die Sonne für die Forscher:innen zu einer kalibrierten Neutrinoquelle geworden ist.

Massereiche Sterne durchlaufen nach dem Wasserstoffbrennen noch weitere Sequenzen von Kernreaktionen, wobei die Endprodukte des vorherigen Brennens zum nuklearen Brennmaterial der nächsten Brennphase werden. Schließlich bildet sich im Inneren ein Kern bestehend aus Atomkernen wie Eisen und Nickel. Dies sind die Elemente, bei denen die Kernbestandteile am stärksten aneinander gebunden sind. Das bedeutet, dass Fusionsreaktionen mit diesen Kernen keine weitere Energie freisetzen können. Damit verliert also ein solcher Stern die Energiequelle, mit der er sich langfristig gegen seine eigene Anziehungskraft wehren könnte. Sein Zentrum kollabiert (das geschieht in Sekundenbruchteilen, wenn die Bedingungen dazu reif sind!), die dabei freiwerdende Gravitationsenergie erhitzt den Kern ein letztes Mal und der Stern explodiert in einer Supernova. Dabei werden die meisten der in vorigen Brennphasen produzierten Elemente in den Weltraum geschleudert, übrig bleibt ein kompakter Rest aus Kernmaterie – ein Neutronenstern, quasi ein Atomkern in Größe einer Großstadt. Bei ihm kann das Doppelte der Masse unserer Sonne auf eine Kugel mit einem Radius von zwölf Kilometern zusammengepresst sein. Während der Supernovaexplosion kommt es zu einem kurzzeitigen explosiven Brennen, das einen Teil der Sauerstoff- und Siliziumschalen zu instabilen Nickel-56-Kernen fusioniert. Deren radioaktive Zerfälle erzeugen das wochenlange Nachleuchten einer Supernova und produzieren etwa die Hälfte des Eisens im Universum. Die andere Hälfte entsteht durch ein ähnliches explosives Brennen in einer thermonuklearen Supernova, in der ein Weißer Zwerg in einem Doppelsternsystem vollständig zerrissen wird. Thermonukleare Supernovae haben eine entscheidende Rolle bei der Entdeckung gespielt, dass sich das heutige Universum beschleunigt ausdehnt.

Die Herkunft schwerer Elemente

Woher aber stammen die Elemente, die schwerer als Eisen und Nickel sind, also mehr Protonen als diese beiden Kerne enthalten? Sie entstehen durch zwei unterschiedliche Sequenzen, bei denen zunächst freie Neutronen eingefangen werden, die anschließend unter Emission eines Betateilchens in ein Proton umgewandelt werden. Bei dem sogenannten ­s-Pro­zess ist die Neutronendichte gering. Das hat zur Folge, dass die Betazerfälle schneller ablaufen als aufeinander folgende Neutroneneinfänge. Es ist also unwahrscheinlich, dass ein weiteres Neutron eingefangen wird, bevor das zuvor entstandene radioaktive Nuklid zerfallen ist. In der Folge entstehen vor allem stabile Nuklide bis zum Bismut. Dieser ­s-Pro­zess läuft vor allem in asymptotischen Roten Riesensternen ab.

Die schwersten Elemente, wie etwa Thorium oder Uran, entstehen hingegen im r-Prozess. Hierbei folgen Neutroneneinfänge zunächst schneller aufeinander als die Betazerfälle, was nur bei extrem hohen Neutronendichten geschieht. Die in diesem Prozess entstehenden Kerne haben also einen deut­lichen Neutronenüberschuss. Das macht sie experimentell schwer erreichbar, weshalb die meisten der beteiligten Kerne noch nicht im Labor hergestellt werden konnten. Ihre Eigenschaften lassen sich daher bislang nur theoretisch abschätzen.

Bei der Suche nach Gravitationswellen (siehe Seite 64) wurden zwei verschmelzende Neutronensterne als Ursprung des Ereignisses GW170817 ausgemacht und als ein Ort der r-Prozess-Produktion identifiziert. Neutronensternverschmelzungen sind dadurch in den wissenschaftlichen Fokus gelangt. Zukünftige Gravitationswellendetektoren (LISA) und das James-Webb-Teleskop lassen eine detaillierte und reichliche Ernte an neuen Informationen erwarten.

Eine neues Kapitel im Verständnis der Entstehung der Elemente im Universum wird mit der Großforschungsanlage FAIR aufgeschlagen, wo es möglich sein wird, viele Aspekte der Physik von Neutronensternen und ihren spektakulären Verschmelzungen sowie von anderen extremen astrophysikalischen Objekten wie Supernovae im Experiment nachzubilden und zu beobachten.

Das Periodensystem der chemischen Elemente mit Angabe der hauptsächlichen kosmischen Produktionsstätten.

FAIR – Das Universum im Labor

Einzigartige Einblicke in die Struktur der Materie und die Entwicklung des Universums soll zukünftig das internationale Beschleunigerzentrum FAIR (Facility for Antiproton and Ion Research) liefern. Dazu wird derzeit ein neuer, zum Teil unterirdischer, Gebäudekomplex (mittig im Bild) im Anschluss an die bestehenden Anlagen des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung in Darmstadt (links oben im Bild) gebaut. Dessen Herzstück ist ein neues Synchrotron (SIS100) mit 1,1 Kilometer Länge, das Ionen aller chemischen Elemente von Wasserstoff bis Uran auf bis zu 99% Lichtgeschwindigkeit beschleunigen kann. Damit können unter anderem eine Vielzahl von Teilchen sowie Antiprotonen mit allerhöchsten Intensitäten erzeugt und in anschließenden Anlagen und Detektoren untersucht werden.

So sind Messungen in einem Temperatur- und Dichtebereich geplant, in dem Kernmaterie den Vorhersagen zufolge einen Phasenübergang durchmacht. Weitere Experimente sollen Aufschluss über den r-Prozess, die starke Wechselwirkung oder fundamentale Symmetrien geben. Auch um dichte Plasmen zu untersuchen, wie es sie im Universum gibt, sind die Möglichkeiten von FAIR geeignet. Schließlich sollen auch Anwendungen in der Biophysik, Medizin und Materialforschung adressiert werden – etwa wie man Astronaut:innen vor kosmischer Strahlung schützt, mit Ionen Krankheiten heilt und Materialeigenschaften verändert.

Weltweit arbeiten im Jahr 2024 ca. 3000 Wissenschaftler:innen aus rund 50 Ländern an der Vorbereitung der Experimente. Bei der Realisierung der Anlagen entstehen technologische Neuentwicklungen in vielen Bereichen, zum Beispiel in der Informationstechnologie oder in der Supraleitungstechnik.

Inti Lehmann

Karlheinz Langanke und Norbert Pietralla