WISSEN
Das Kleinste und das Größte

Quarks: Basis der Materie

Protonen und Neutronen machen den größten Teil der Masse des sichtbaren Universums aus. Sie sind viel schwerer als die elementaren Bausteine, aus denen sie aufgebaut sind. Der Grund dafür ist die starke Wechselwirkung, die aus drei nahezu masselosen Up- und Down-Quarks die schweren Protonen und Neutronen formt.

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Der Higgs-Mechanismus (siehe Seite 35) ist eine Erklärung, wie Elementarteilchen ihre Masse erhalten. Er trägt jedoch nur zu einem kleinen Teil zu der Masse der Protonen und Neutronen bei. Tatsächlich erzeugt die starke Wechselwirkung zwischen den Quarks die Masse der aus ihnen zusammengesetzten Teilchen dynamisch. Man spricht von einer emergenten Eigenschaft.

Die starke Wechselwirkung wird durch die Quantenchromodynamik (QCD, siehe „Das Standardmodell der Teilchenphy-sik“ auf Seite 35) beschrieben. Demnach verfügen Quarks und Antiquarks über eine quantenmechanische Eigenschaft, die als Farbladung bezeichnet wird – sie haben eine Farbe bzw. eine Anti-Farbe. Möglich sind rot, blau und grün sowie anti-rot, anti-blau und anti-grün. Die Bezeichnung „Farbe“ ist hierbei nur als Metapher zu verstehen. Über diese Farbladung können sie an andere Teilchen mit Farbladung koppeln, analog zur Kopplung oder Wechselwirkung von elektrisch geladenen Teilchen. Durch die Farbwechselwirkung können im Prinzip viele verschiedene gebundene Systeme entstehen (sog. Hadronen), die jedoch alle eine Eigenschaft haben müssen: Sie müssen farbneutral, d. h. weiß sein. Die einfachsten weißen Kombinationen sind 3-Quark-Systeme aus einem roten, blauen und grünen Quark (sog. Baryonen) oder Systeme aus einem Quark und einem Antiquark mit der entsprechenden Anti-Farbe, z. B. rot – anti-rot (sog. Mesonen).

Die Kopplung geschieht über den Austausch von Gluonen, die selbst ebenfalls eine Farbladung tragen und daher wiederum auch untereinander in Wechselwirkung treten können. Diese Eigenschaft der starken Wechselwirkung generiert viele extrem komplexe Phänomene.

Eines dieser Phänomene ist die asymptotische Freiheit: Bei steigender Energie nimmt die Kopplungsstärke der Quarks untereinander ab (Seite 43) – im Extremfall verhalten sie sich wie freie Teilchen. Für diesen Fall können die Gleichungen der QCD durch Näherungen gelöst werden.

Meist hat man es aber eher mit niedrigen Energien zu tun – und für die wird die Kopplungsstärke sehr groß. Deshalb findet man Teilchen mit Farbladung auch nie isoliert vor (siehe Seite 50). Mit den Näherungen der QCD kommt man hier in der theoretischen Beschreibung nicht weiter. Stattdessen simuliert man die Wechselwirkung der Quarks untereinander für verschiedene diskrete Punkte auf der vierdimensionalen Raumzeit mithilfe der Gleichungen der QCD („Gitter-QCD“). Diese extrem rechenaufwendigen Arbeiten werden von theoretischen Physiker:innen in internationaler Zusammenarbeit auf Supercomputern durchgeführt, wie z. B. JUWELS des Supercomputing Centers des Forschungszentrums Jülich. Mit komplexen statistischen Methoden lassen sich diese simulierten Daten analysieren, ähnlich wie bei der Auswertung experimenteller Daten. Zu den großen Erfolgen der Gitter-QCD gehört die genaue Berechnung der Massen aller stabilen oder langlebigen aus Quarks zusammengesetzten Teilchen, der Grundzustände vieler Hadronen (Proton, Neutron, Δ, Λ, Σ, Ξ, Ω, ρ, φ, K*).

Die Komplexität der starken Wechselwirkung erfordert konzeptionell viele komplementäre Pfade, welche jeweils theoretisch und experimentell gemeinsam erforscht werden. So lassen sich aus Quarks und Gluonen bestehende Hadronen mit hochenergetischer Strahlung anregen. Ähnlich wie bei der Anregung eines Moleküls liefert auch die Anregung eines Hadrons Informationen über seine Bestandteile und deren Kopplung – nämlich anhand der diskreten Energiewerte, die zu solch einer Anregung führen.

Außerdem kann man beobachten, wie Leptonen oder Photonen an Hadronen gestreut werden, und daraus Erkenntnisse über deren Inneres gewinnen. Und schließlich dienen auch hochenergetische Kollisionen von Protonen oder Kernen der Untersuchung von Quarks und Gluonen. Die Experimente finden und unter starker Beteiligung deutscher ­Wissen­schaft­ler:innen an verschiedenen Teilchenbeschleunigern weltweit statt, wie dem CERN (Schweiz) oder dem Jefferson Lab (USA), aber auch an kleineren nationalen Anlagen, z. B. an ELSA (Bonn) oder MAMI (Mainz). In Zukunft soll mit FAIR (siehe Seite 52) ein internationales Zentrum zur Erforschung der starken Wechselwirkung in Deutschland etabliert werden.

Der Urknall im Labor

In den ersten 10 Mikrosekunden nach dem Urknall bestand das Universum aus den freien elementaren Bausteinen des SM der Teilchenphysik – es war so heiß und energiereich, dass freie Quarks und Gluonen existieren konnten. In einem Phasenübergang kondensierte diese Quark-Gluon-Plasma genannte Urknallmaterie zur jetzt sichtbaren Materie des Universums, die aus Protonen, Neutronen und Elektronen gebildet wird. Um die Entstehungsgeschichte des Universums nachzuvollziehen, braucht es Erkenntnisse über die Struktur der Urknallmaterie und ihren Phasenübergang zu Hadronen. Seit über 30 Jahren werden hierzu Experimente in den weltweit größten Beschleuniger-Laboren in Europa (CERN, GSI), USA (Brookhaven), Russland (JINR), und Japan (J-PARC) mit insgesamt über 5000 Forschenden gemacht. Dabei werden schwere Atomkerne wie Gold oder Blei mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinandergeschossen. Als Resultat entsteht ein submikroskopisch kleiner heißer „Feuerball“ aus elementaren Quarks und Gluonen, der einen Zustand nachbilder, der der Materie beim Urknall ähnlich ist. Die Quarks und Gluonen darin können allerdings nicht als freie Teilchen beobachtet werden, da sie sich beim Phasenübergang vom Quark-Gluon-Plasma zu normaler Materie quasi sofort zu Hadronen zusammenfügen, die dann messbare Spuren in den Detektoren hinterlassen („Auf der Spur der Elementarteilchen“ ab Seite 39).

Die Temperatur dieses Phasenübergangs wurde seit 1990 in vielen Beschleunigerexperimenten bestimmt. Das gelingt über die Messung der relativen Häufigkeiten der verschiedenen in der Kollision entstandenen Hadronen, denn die Teilchenproduktion im Phasenübergang folgt den Gesetzen der Thermodynamik. Dabei ergibt sich für alle Teilchen die gleiche Übergangstemperatur von 156,5 MeV. Diese Temperatur stimmt sehr gut mit theoretischen Untersuchungen im Rahmen der Gitter-QCD überein. Damit wurde eine der fundamentalen Größen der Physik des Quark-Gluon-Plasmas experimentell bestimmt: die Temperatur des Phasenübergangs.

Durch viele Messungen konnten weitere Eigenschaften dieses Plasmas bestimmt werden. Eine der größten Überraschungen war, dass sich das Quark-Gluon-Plasma trotz seiner enormen Dichte wie eine nahezu ideale Flüssigkeit verhält. Zukünftige Messungen mit dem LHC, insbesondere zum Verhalten von schweren Quarks im Plasma, werden neue Einblicke in die bisher nur wenig verstandenen Prozesse des Phasenübergangs der Urknallmaterie erlauben.

Die im QCD-Phasenübergang des frühen Universums gebildeten instabilen Hadronen zerfallen im Abkühlprozess entweder direkt oder vernichten sich in der Begegnung mit ihren entsprechenden Antiteilchen. Jedoch werden hierbei nicht alle Teilchen vernichtet, da die Anzahl der Teilchen und Antiteilchen im Feuerball nicht exakt gleich ist. Der Ursprung dieser Asymmetrie ist bislang unbekannt. Wir verdanken ihr jedoch alle Strukturen im Universum wie Galaxien, Sterne, Planeten bis hin zum Leben (siehe „Jenseits des Standardmodells“ auf Seite 53).

Teilchenproduktion in der Kollision schwerer Blei-Ionen am LHC gemessen mit dem ALICE-Experiment. Die gemessenen Häufigkeiten von Hadronen mit verschiedener Masse (Datenpunkte) werden sehr gut mit dem thermodynamischen Modell (gestrichelte Kurve und blaue Balken) beschrieben, aus der sich die Temperatur des Phasenübergangs ableiten lässt. Bei den höchsten Energien am LHC werden Teilchen und Antiteilchen mit gleicher Wahrscheinlichkeit erzeugt. Für schwere Teilchen mit einer Masse größer als 1500 MeV/c2 wird dann die Teilchenhäufigkeit durch nur zwei wesentliche Parameter bestimmt, die jeweilige Teilchenmasse und die Übergangstemperatur. Die Temperatur des Phasenübergangs ergibt sich aus der Steigung der Kurve. Für Teilchen mit kleinerer Masse wird in der Analyse auch der Zerfall instabiler schwerer Hadronen berücksichtigt (blaue horizontale Linien). Dann erhält man für alle Hadronen von Pionen bis Omega-Baryonen volle Übereinstimmung mit den Daten mit einer Temperatur des Phasenübergangs von 156,5 MeV.

Exotische Materie

Bei Temperaturen unterhalb des Phasenübergangs existieren Quarks und Gluonen nicht als freie Teilchen, sondern bilden gebundene Zustände, die Hadronen. Die Bindung der Quarks und Gluonen unterliegt strengen Regeln, deren tiefe Ursache noch nicht vollständig geklärt ist. So können sich diese Teilchen nur zu Hadronen mit ganzzahliger elektrischer Ladung zusammenfügen und die Mischung der Farbladungen der Einzelteile muss beim zusammengesetzten System farbneutral sein. Darüber hinaus können sie nur Zustände mit bestimmten Quantenzahlen bilden, sowohl bezüglich des Gesamtdrehimpulses, als auch im Verhalten gegenüber diskreten Symmetriebetrachtungen. Da die starke Wechselwirkung nicht zwischen den sechs verschiedenen Flavourzuständen der Quarks unterscheidet, wird erwartet, dass sich das Muster der realisierten gebundenen Zustände für die verschiedenen Quark-Flavours wiederholt.

Lange Zeit waren nur zwei Formen von Hadronen bekannt: die Mesonen, die aus einem Quark und einem Antiquark gebildet werden, sowie die Baryonen, die aus drei Quarks bestehen. Jedoch war spekuliert worden, dass sich ein so komplexes Hadron auch in andere Zustände anregen lässt, wobei die zugeführte Energie in Schwingungen und Rotation sowohl der Quarks als auch der Gluonen umgewandelt werden kann. Signaturen solcher exotischen Teilchen aus leichten Quarks mit Gluon-Anregungen wurden über viele Jahrzehnte gesucht und nach vielen widersprüchlichen Beobachtungen Anfang der 2010er-Jahre durch Experimente am CERN bestätigt. Das Studium von Hadronen mit schweren Quarks der Flavour, Charm und Bottom am LHC und an Elektron-Positron Kollidern führte zur erstmaligen Beobachtung von Zuständen mit neuartigen Kombinationen aus Quarks und Antiquarks. Seit 2015 sind Systeme mit vier Quarks und einem Antiquark (sog. Pentaquarks) sowie Systeme aus zwei Quarks und zwei Antiquarks (sog. Tetraquarks) bekannt. Es ist bisher nicht klar, ob diese Beobachtungen auf Hadronen mit schweren Quarks beschränkt sind, und was die innere Struktur dieser Systeme ist: kompakt (atomartig) oder groß (molekülartig). Damit haben die jüngsten Forschungsergebnisse ein neues Forschungsfeld zum Verständnis der Zusammensetzung der sichtbaren Materie eröffnet.

Künstlerische Darstellung eines Kaons (ein Meson aus Quark und Antiquark, u und s), Protons (ein Baryon aus drei Quarks, u und d) und eines neuen Hadrons mit zwei schweren Quarks (c) und zwei Antiquarks (u, d). Sie folgt dem Modell eines engen Tetraquark-Systems im Gegensatz zu Vorstellungen einer Molekülbildung aus Hadronen.

Die starke Wechselwirkung bei sehr kleinen Energien

Die leichtesten beobachteten Hadronen, die Pionen, spielen eine besondere Rolle beim Verständnis der starken Wechselwirkung bei kleinen Energien. Sie sind aus einem Up- oder Down-Quark und einem Up-oder Down-Antiquark aufgebaut. Ihre Masse beträgt jedoch nur etwa ein Siebtel der Masse eines Protons, das aus drei leichten Quarks besteht. Dieser markante Unterschied hängt mit der Symmetrie der Händigkeit der spintragenden, (fast) masselosen Quarks zusammen. Diese chirale Symmetrie ist bei niedrigen Energien gebrochen, was zur Ausbildung (fast) masseloser Bosonen führt, zu denen die Pionen gehören. Bei sehr niedrigen Energien (≪ 1 GeV) sind dann nicht mehr die Quarks, sondern die leichtesten Anregungen des QCD-Grundzustands, die Pionen, die relevanten theoretischen Freiheitsgrade. Dieser effektive theoretische Unterbau erlaubt präzise Aussagen über die Wechselwirkung leichter Mesonen bei sehr niedrigen Energien. Messungen der letzten Jahre am CERN haben diese Vorhersagen mit hoher Genauigkeit überprüft. Mit dem Konzept der chiralen Symmetriebrechung halten wir neben dem Higgs-Mechanismus einen weiteren Schlüssel zum Ursprung der Masse des sichtbaren Universums in der Hand.

Nie allein: COnfinement

Nicht nur die Quarks, sondern auch die Gluonen, die Austauschteilchen der starken Wechselwirkung, tragen Farbladung. Dies führt zu einer Selbstwechselwirkung, die bewirkt, dass die Kopplungsstärke vom Abstand zwischen den Quarks abhängt, und zwar anders als bei anderen Wechselwirkungen: Sie nimmt bei größeren Abständen zu! Nur bei sehr kleinen Abständen ist die Kopplungsstärke gering genug, dass Quarks sich nahezu wie freie Teilchen verhalten können. Für diesen Fall der sogenannten asymptotischen Freiheit können wir die Wechselwirkung der Quarks im SM mit Näherungsmethoden präzise berechnen. Diese Berechnungen auf der Basis der QCD stimmen mit Experimenten sehr gut überein. Bei größeren Abständen der Quarks voneinander, wie sie in Hadronen vorliegen, sind die Vorhersagen der QCD jedoch noch sehr ungenau und viele experimentelle Ergebnisse noch unverstanden.

Konzeptionelle Darstellung des Farbschlauchs (String) zwischen Quarks bei verschiedenen Abständen, der Erzeugung neuer Quark-Antiquark Paare und der Ausbildung von Hadronen

Dies trifft auch auf den experimentellen Befund zu, dass Quarks und Gluonen nie als freie Teilchen beobachtet werden. Dies wird als Confinement bezeichnet. Bei einer Kollision können sie zwar voneinander getrennt werden, allerdings nimmt mit steigendem Abstand die Kopplungsstärke zu. In einem vereinfachten Modell bilden die Gluonen zwischen den Quarks einen Flussschlauch aus Farbe (String), dessen Energie linear mit seiner Länge zunimmt. Bei einem kritischen Abstand der Quarks voneinander ist so viel Energie in der Bindung gespeichert, dass daraus ein neues (leichtes) Quark-Antiquark-Paar erzeugt wird und der Farbschlauch damit abreißt. Anstatt einzelner Quarks sehen wir in unseren Detektoren also neu erzeugte Hadronen, die in sogenannten Jets der Richtung des ursprünglichen Quarks folgen.

Dieses Confinement sollte auch Bindungszustände erzeugen können, die ausschließlich aus Gluonen bestehen, sogenannte Gluebälle. Die Suche nach ihnen wird an vielen Experimenten weltweit verfolgt, jedoch fehlt bisher ein eindeutiger Nachweis.

Das Confinement konnte bisher nicht theoretisch bewiesen werden und ist eines der sieben Millenniumprobleme, für deren Lösung ein Preisgeld von jeweils einer Million US-Dollar ausgelobt ist.

Peter Braun-Munzinger, Bernhard Ketzer und Stephan Paul