In der Regel ist mit dem symbolischen „12 Uhr“, dem High Noon, ein Zeitpunkt gemeint, zu dem die Krise in eine Katastrophe umschlägt, wo also das vermutlich noch Beherrschbare ins vermutlich Unbeherrschbare kippt, wo Kostbares vielerorts unwiederbringlich verlorengeht. Kann die Wissenschaft solche Vorstellungen präzisieren und möglicherweise sogar vorhersagen, in welchem Jahr unserer Zeitrechnung die Klimauhr 12 schlägt?

Zahlreiche Studien belegen, dass die bedeutsamsten Folgen einer Klimaveränderung zuallererst von der mittleren globalen Oberflächentemperatur abhängen. Die in der frühen Debatte bereits ausgesprochene Vermutung, dass durch eine längerfristige Überschreitung der 2-Grad-Linie eine für die Menschheit katastrophale Klimaveränderung ausgelöst wird, wird durch eine rasch wachsende Zahl von Forschungsarbeiten bestätigt. So gesehen entspricht 12 Uhr einem Temperaturanstieg um 2 °C gegenüber dem vorindustriellen Wert.
Jenseits dieser Temperaturlinie kippen eine Reihe von essenziellen Teilsystemen der globalen Umwelt in einen anderen Zustand oder werden gar zerstört. Ob es sogar eine kritische Temperaturschwelle gibt, ab der das planetare Klimasystem als Ganzes die Holozän-Betriebsweise – die in den letzten 12 000 Jahren das Entstehen der Zivilisation ermöglichte – abrupt verlässt, ist derzeit Gegenstand von besorgten Spekulationen.
Bei Umsetzung der heutigen politischen Klimaschutzstrategien weltweit würde sich die Erde um ca. 2,7° C erwärmen. Dies wiederum würde etwa ein Drittel der gegenwärtig besiedelten Gebiete – insbesondere die inneren Tropen – unbewohnbar machen. Es ist kaum vorstellbar, dass die dadurch erforderliche Umsiedlung von mehreren Milliarden Menschen ohne Zusammenbruch der Weltordnung durchgeführt werden könnte, selbst wenn für die notwendige Migration etliche Jahrzehnte zur Verfügung stünden.
Die Einhegung des Klimawandels mithilfe von Temperaturleitplanken ist ein quasi-statischer Ansatz, dessen Wirksamkeit inzwischen leider infrage steht: Seit dem Jahr 2023 scheinen sich wichtige Parameter im System Erde (z. B. die Oberflächentemperatur des Nordatlantiks) nichtlinear zu verändern, das Durchbrechen der 1,5 °C-Linie steht offenbar unmittelbar bevor, und auch die 2 °C-Linie dürfte in wenigen Dekaden fallen. Es wird künftig darum gehen, die Exkursion in den hochgefährlichen Temperaturraum jenseits der 2 °C so flach und vor allem so kurz wie möglich zu halten. Dies ist (notgedrungen) ein dynamisches Konzept, das völlig neue Herausforderungen an Wissenschaft, Politik und Gesellschaft stellt.
Eine aktuelle Analyse führt auf eine subtilere Definition von „12 Uhr“. Sie basiert auf den Begriffen Risiko (also Ereignisschaden mal Ereigniswahrscheinlichkeit) und Dringlichkeit (also der Quotient aus benötigter und verfügbarer Reaktionszeit). Die Situation ist eine echte Notlage, wenn sowohl Risiko als auch Dringlichkeit hoch sind.
Im Kontext der Kippdynamik im Erdsystem entspricht die verfügbare Interventionszeit gewissermaßen eine Latenzphase, in der wichtige Kippelemente (wie der Grönländische Eisschild) trotz Überschreiten der zugehörigen Temperaturlinien noch nicht in die irreversible Zustandsänderung eingerastet sind. Demgegenüber steht die Zeit, die das globale Wirtschaftssystem mindestens benötigen würde, um sich aus dem „überkritischen“ Temperaturbereich wieder herauszubewegen, wenn unmittelbar entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden.
„12 Uhr“ entspricht dann der Situation, in der die verfügbare Interventionszeit und die benötigte Reaktionszeit genau gleich sind. Diese Größen sowie das Risiko zu quantifizieren, stellt eine historische Forschungsaufgabe unter höchstem Zeitdruck dar.