WIRKUNG
Komplexe Welt

Widerstandsfähig, da komplex

Komplexität erlaubt Systemen zusätzliche Reaktionsoptionen: Sie ermöglicht beispielsweise Vegetationen, auf verschiedene Weisen auf häufig menschengemachte Umweltveränderungen zu reagieren, und macht sie dadurch widerstandsfähiger.

Vorabversion

Der aktuelle Klimawandel sowie häufigere und intensivere Klimaextreme wie Dürren oder Starkregenereignisse verändern oder bedrohen ganze Ökosysteme: Wichtige Pflanzenspezies können verdrängt werden, sodass die Artenvielfalt verändert oder bedroht wird. Wie genau Ökosysteme auf zukünftige Klimaextreme reagieren werden, ist aufgrund von deren Komplexität jedoch schwierig vorherzusagen. Die Komplexität von Vegetationen besitzt einen wichtigen positiven Aspekt: Sie verspricht unter anderem, nachteilige Auswirkungen von Niederschlagsrückgängen abzuschwächen, weil sie dem Ökosystem erlaubt, auf verschiedene Weisen auf die Veränderungen zu reagieren.

Aktuelle und empirisch bestätigte mathematische Modelle erfassen zwei Reaktionsmechanismen: Zum einen kann sich Pflanzenbewuchs in räumlichen Mustern organisieren (Populationsebene). Zum anderen können Arten, die in Wachstum investieren, durch Arten, die tolerant gegenüber Wasserstress sind, ersetzt werden (Gemeinschaftsebene). Es ist die Rückkopplung zwischen Vegetationswachstum und dem Transport von Wasser im Boden, die beispielsweise überlebensfähige Muster aus Vegetation und kahlen Flächen entstehen lässt.

Bekämpfung der Wüstenbildung

Die Wüsten auf der Erde dehnen sich seit Jahrzehnten aus: Laut Angaben der Vereinten Nationen sind mehr als 30 Prozent der Vereinigten Staaten von Wüstenbildung betroffen. Auf der anderen Seite des Atlantiks droht ein Fünftel der spanischen Landmasse zu einer Wüste zu werden. Zahlreiche Beobachtungen und mathematische Vegetationsmodelle zeigen, dass eine homogene Vegetation bei zunehmender Trockenheit nicht schlagartig verschwindet. Vielmehr bildet sich in Bereichen mit niedrigen Niederschlagsmengen durch Selbstorganisation ein räumlich modulierter Pflanzenbewuchs. Auf diese Weise können Pflanzen über die Wurzeln auch die auf unbewachsenen Flächen versickerten Niederschläge mitnutzen. In der unteren Reihe der Abbildung ist ein universelles Szenario von dichtem Planzenbewuchs hin zur Wüste bei abnehmenden Niederschlägen zu sehen. Wüstenbildung nach einem über mehrere Jahre zunehmend ausgedünnten Vegetationsmuster ist ein Beispiel für einen Kipppunkt: Eine Neubegrünung benötigt ohne äußere Eingriffe erst einmal wesentlich mehr Wasserzufuhr, als die Erhaltung von ausgedünnten Vegetationsmustern. Der Übergang von geschlossener Vegetation zur Wüste und zurück hat somit die Form einer Hysterese.

Eine zentrale Erkenntnis aus der Erforschung der fortschreitenden Wüstenbildung ist somit, dass durch räumliche Strukturbildung der Vegetation deren Resilienz gegenüber geringeren Niederschlagsmengen gestärkt wird. Die Erforschung von weiterentwickelten Modellen zur Beschreibung der Komplexität von Ökosystemen – hier die räumliche Selbstorganisation – wird weitere Ideen zur Bekämpfung der Wüstenbildung und damit zur Stabilisierung von Ökosystemen liefern. Diese Ergebnisse werden wichtige Hilfen für politische Entscheidungen bereitstellen.

Oben: Typische Vegetationsmuster in trockenen Klimazonen: Streifen, periodische Löcher („Hexenkreise“) und Labyrinthe auf unterschiedlichen Längenskalen. Unten: Eine Simulation zeigt eine universelle Abfolge von Vegetationsmustern mit von links nach rechts abnehmender Pflanzenbedeckung bis hin zur Wüste in Abhängigkeit von der Niederschlagsmenge. Der Übergang von homogener Vegetation zur Wüste erfolgt über Zwischenzustände von Streifen und Punkten (Spots).

Markus Bär, Ehud Meron und Walter Zimmermann