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Technologien

Plasmen in Technik und Medizin

Im Universum liegt Materie meistens in einem Zustand vor, der uns auf der Erde eher exotisch erscheint: als Plasma. Doch längst erobern Plasmen auch die irdischen Labore – mit neuen Anwendungen in der Materialbearbeitung, Medizin und Energieversorgung.

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Plasma ist ein Gas, in dem ein wesentlicher Teil der Bestandteile in ionisierter Form vorliegen: Hier sind die Atome, bestehend aus einem Kern und einer Elektronenhülle, in Teilen oder vollständig ihrer Elektronen beraubt. Sie werden zu Ionen, die mit den nun freien Elektronen das Plasma bilden. 99 Prozent der bekannten sichtbaren Materie des Kosmos liegen im Plasmazustand vor und werden durch einheitliche Gesetze beschrieben. Plasma wird oft als der vierte Aggregatzustand neben Feststoff, Flüssigkeit und Gas bezeichnet. Beispiele natür­licher Plasmen sind Sterne wie unsere Sonne, das interstellare Medium oder Polarlichter und Blitze auf der Erde. Auch das Leuchten von Kerzenflammen oder Leuchtstoffröhren kommt aus Plasmen. Plasmen spielen eine wichtige Rolle in der Astrophysik, da sie die Sternentstehung, die Lichtabstrahlung und den Transport von Teilchen von den Sternen bis zur Erde dominieren. Deshalb ist die Plasmaphysik traditionell mit der Astro-, Atom- und Molekülphysik verknüpft.

Forschung in Theorie und Experiment

Die Untersuchung und das Verständnis von Plasmen ist eine Herausforderung für das Fachgebiet der Vielteilchenphysik. Energie wird in diese Plasmen aus elektrischen Feldern oder durch Kernprozesse eingebracht. Magnetfelder führen die elektrisch geladenen Plasmateilchen und schließen sie ein. Die Heizung der Plasmen wirkt sich auf die Energieverteilungsfunktionen der Plasmateilchen aus, die sich in Raum und Zeit verändern und das Verhalten dieser Plasmen bestimmen. Durch solche Wechselwirkungen werden zum Beispiel Teilchen aus dem Kosmos auf sehr hohe Energien beschleunigt. Die Beschreibung solcher Transportprozesse erfordert Modelle und Simulationen auf sehr unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Skalen – angefangen von der makroskopischen Magnetfeldanordnung bis zur Turbulenz auf kleinsten Skalen. Inzwischen ist es möglich, eine Vielzahl der Plasmaphänomene mit leistungsstarken Computern digital nachzubilden.

Plasmen lassen sich durch hochenergetische Laser erzeugen, um extreme Prozesse in Sternen zu simulieren oder um Teilchen zu beschleunigen. Plasmen werden zur Stoffumwandlung und Materialsynthese in reaktiven Gasen erzeugt. Sie könnten in der Zukunft als nahezu unerschöpfliche Energiequelle dienen, wenn es gelingt, effiziente Kernfusionsreaktoren zu bauen. In diesen sollen Wasserstoffatomkerne mit unterschiedlicher Neutronenanzahl (Proton, Deuterium, Tritium) in sehr heißen Plasmen zu neuen Atomkernen verschmelzen.

Oben: Wartung einer Plasmakammer, wie sie zur Erzeugung der Kernfusion benutzt wird, hier am ASDEX-Upgrade-Experiment in Garching. Die gleiche Plasmakamera leuchtet unten im Betrieb im rosafarbenen Licht der H-Alpha-Emission, die hier aus dem kältesten Bereich des Fusionsplasmas kommt. Die heißeren Bereiche bleiben unsichtbar. Ziel dieses Experiments ist es, Grundlagen zur Kontrolle des Plasmas und der Energiezu- und -abfuhr von und nach außen zu erforschen.

Technischer Einsatz von Niedertemperaturplasmen

Plasmen lassen sich einteilen in Hochtemperaturplasmen, bei denen die Elektronen und Ionen Temperaturen von vielen Millionen Grad annehmen, bis hin zu Niedertemperaturplasmen, in denen nur die Elektronen sehr heiß sind, die schweren Atomkerne aber Raumtemperatur haben. Insbesondere Niedertemperaturplasmen finden bereits heute vielfältigen Einsatz in zahlreichen modernen Technologien. Zum Beispiel lassen sich mit solchen Plasmen temperaturempfindliche Materialen ätzen oder beschichten, was sie zu einem besonderen Werkzeug der Materialforschung macht. Beispiele sind die Erzeugung von Hartstoffschichten auf Schneidwerkzeugen, die Beschichtung von Fensterscheiben mit Metalloxiden für den Wärmeschutz, die Strukturierung von mikroelektronischen Bauteilen oder die Beschichtung von Kunststoffen, um sie gasdicht zu machen. Die Herausforderung besteht in diesen Fällen darin, ein Plasma so anzupassen, dass sich eine definierte Qualität der Oberflächen eines Bauteils garantieren lässt. Dies gelingt hervorragend und ist ein wesentlicher Baustein für unzählige Fertigungstechnologien unserer Zeit. Die plasmaphysikalischen Grundlagen dieser Prozesse sind aktueller Forschungsgegenstand. Es gilt, die Energieeinkopplung in das Plasma durch von außen angelegte elektrische Felder oder eingestrahltes Licht, die Atom- und Molekülphysik der Plasmachemie oder die Wechselwirkung der Plasmateilchen mit den Oberflächen aufzuklären, zu verstehen und zu kontrollieren.

Mehrfachaufnahme eines Plasmas, das an einer untergetauchten Elektrode in Wasser gezündet wird.

Neben dem Einsatz von Plasmen in der Materialforschung und Technik profitiert auch die Medizin von diesem Werkzeug. Plasmen können so maßgeschneidert werden, dass sie als Quellen für reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies dienen, die vielfältige biologische Prozesse auslösen. Mit Plasmen in Flüssigkeiten lässt sich Wasser reinigen und so von schwer abbaubaren Substanzen wie Medikamenten befreien. Mit Plasmen gelingt das Abtöten von Keimen durch das gleichzeitige Einwirken der reaktiven Teilchen und der Ultraviolettstrahlung aus dem Plasma. Dabei wirken die Plasmen immer nur auf die obersten Grenzschichten und eignen sich deshalb zur Sterilisierung von zahlreichen empfindlichen Kunststoffprodukten der Medizintechnik aber auch direkt zur schonenden Behandlung von lebendem Gewebe. So lassen sich Keime direkt auf der Haut mit Plasmen sehr gezielt behandeln und gleichzeitig die Wundheilung verbessern. Die Plasmamedizin könnte auch gegen Keime wirken, die gegen Antibiotika resistent sind – ein wichtiges Thema für die Zukunft.

Plasmen für chemische Prozesse

Darüber hinaus werden Plasmen zur Stoffwandlung entwickelt, bei denen Ausgangsmoleküle in gezielter Weise zu neuen Substanzen synthetisiert werden. Dieses Thema ist von besonderer Bedeutung, da zahlreiche chemische Prozesse, die aktuell noch thermische Energie aus fossilen Brennstoffen benötigen, in Zukunft elektrifiziert werden müssen, um klimaneutral zu werden. Hierbei sind Plasmen, die durch elektrische Felder erzeugt werden, eine ausgezeichnete Methode – wenn es gelingt, chemische Reaktionen sehr gezielt mit diesen Plasmen zu steuern.

Magnetisiertes Hochleistungsplasma zur Synthese von keramischen Werkstoffen.

Gerade die Möglichkeit, Plasmen zu regeln, ist von großem Interesse bei einer dezentralen Energieerzeugung und erlaubt es, auf schwankende Stoffströme zu reagieren. Für die Umsetzung dieser Methoden in der Zukunft muss allerdings die Fähigkeit der Plasmen verbessert werden, ein bestimmtes Reaktionsergebnis statt eines anderen zu erzielen. Dieses kann durch die Kombination von Plasmen mit der Katalyse gelingen, also der technischen Beschleunigung von chemischen Reaktionen. Beispiele für die Zukunft sind die plasma-gestützte Umwandlung von Kohlendioxid, die plasmakatalytische Umsetzung von Stickstoff in Ammoniak oder die Luftreinigung von flüchtigen Kohlenwasserstoffverbindungen mit minimalem Energieaufwand. In all diesen Fällen gibt es viele Grundlagenprozesse aufzuklären, um letztlich massen- und energieeffiziente Prozesse bereitstellen zu können.

Achim von Keudell und Ulrich Stroth