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Grenzen überwinden

Neue Ansätze für Mikroskopie und Spektroskopie in Raum und Zeit

Neuartige Lichtquellen lassen uns mehr und genauer „sehen“. Sie eröffnen neue experimentelle Ansätze, die eine hohe zeitliche und räumliche Auflösung kombinieren.

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Dynamik auf atomaren Skalen ist unfassbar schnell: Während die Bewegung von Atomen in Molekülen auf Zeitskalen von einigen zehn Femtosekunden (1 Femtosekunde = 10−15 s) geschieht, können elektronische Vorgänge in Atomen oder in kondensierter Materie nochmals um etwa zwei bis drei Größenordnungen schneller sein. Um sie zu erforschen, sind neuartige Lichtquellen mit extremen Eigenschaften nötig, deren Entwicklung und Verbesserung ein eigenes Forschungsfeld darstellt. Neue Methoden mit kurzen (Röntgen-)Lichtpulsen lassen höchstauflösende Mikroskope und Spektroskope zu High-Speed-Kameras werden, sodass wir erstmals extrem schnelle Prozesse in kleinsten Strukturen, wie die Bewegung von Atomen, Molekülen und Elektronen fotografieren und filmen können.

Entscheidende Fortschritte gelangen etwa bei Lasersystemen, die ultrakurze Lichtpulse mit präzise einstellbarer Wellenform erzeugen. Darauf aufbauend können nach dem Prinzip der Erzeugung sogenannter „höherer Harmonischer“ (High Harmonic Generation, HHG) beispielsweise kurzwellige extrem-ultraviolette Lichtblitze mit extrem kurzen Dauern im Bereich von 100 Attosekunden (1 Attosekunde = 10−18 s) gewonnen werden (siehe auch „Nobelpreis 2023“ auf Seite 167). Intensivere Pulse werden von Röntgen-Freie-Elektronen-Lasern (X-FELs) erzeugt. In diesen kilometerlangen Großgeräten werden stark komprimierte Elektronenpakete auf beinahe Lichtgeschwindigkeit gebracht und durch einen Slalomparcours aus periodisch angeordneten Magneten geschossen. Das bringt die Elektronen zur Emission von sehr intensiver und kohärenter Strahlung – hier im Röntgenbereich.

Funktionsprinzip eines Röntgen-Freie-Elektronen-Lasers (X-FELs).

Auch die modernsten Synchrotronanlagen der sogenannten vierten Generation beliefern viele Experimentierstationen gleichzeitig mit Röntgenlicht – mit einer hundertmal höheren Leuchtdichte als ihre Vorgänger. Dies ist möglich, weil der Elektronenstrahl auf einen wesentlich kleineren Querschnitt konzentriert wird. So wird Analytik auf kleinsten Längenskalen möglich.

In vielfältigen Ansätzen werden solche Lichtpulse mit unterschiedlichsten Mikroskopie- und Beugungsmethoden kombiniert, um deren räumliches Auflösungsvermögen entscheidend zu verbessern oder die Methoden um ultraschnelle Zeitauflösung zu erweitern. In angewandteren Forschungsfeldern dienen die Innovationen eher dazu, Prozesse unter realistischen, extremen Bedingungen wie niedrigen Temperaturen in der Tiefe des Alls oder hohen Dichten in einem industriellen Herstellungsverfahren untersuchen zu können.

Lichtwellengetriebene Rastersondenmethoden

Eine dieser Methoden ist die lichtwellengetriebene Rastersondenmikroskopie. Hierbei wird eine scharfe Metallspitze bis auf wenige Ångström (10−10 m, also ähnlich nahe wie die Atome in einem Festkörper) an die zu untersuchende Probe herangeführt. Beim Anlegen einer elektrischen Vorspannung können Elektronen durch die verbleibende Lücke tunneln. Da der Tunnelstrom empfindlich vom Überlapp der Elektronenorbitale in der Probe und der Spitze abhängt, lässt sich durch systematisches Abrastern bei gleichzeitiger Messung des Tunnelstroms ein statisches, atomgenaues Abbild der Probenoberfläche gewinnen. Da eine Aufnahme typischerweise einige Minuten dauert, ermöglicht die konventionelle Rastersondenmikroskopie allerdings keinen Einblick in die Dynamik von Materie.

Ein Lichtpuls trifft die atomar scharfe Spitze eines Rastertunnelmikroskops und kontrolliert die mikroskopische Dynamik eines einzelnen Atoms in einem Molekül (künstlerische Darstellung).

Vor einigen Jahren ist es jedoch gelungen, die Konzepte der ultraschnellen Lichtquellen mit unterschiedlichen Rastersondenvarianten zu kombinieren: Statt der konstanten Spannung, welche für den Tunnelstrom sorgt, lässt bei der ultraschnellen Rastertunnelmikroskopie das elektrische Trägerfeld der Laserpulse für kurze Dauer einen Strom fließen. Bei geeigneten, maßgeschneiderten Laserpulsen geschieht dies nur während eines Femtosekunden-Zeitfensters. Ähnlich wie ein Stroboskop liefert dies Momentaufnahmen, die zusammen ein Bild der Dynamik ergeben.

Die Anwendungsmöglichkeiten erstrecken sich (fast) über den gesamten Bereich, der bereits durch statische Rastersondenmikroskopie abgedeckt wird: von einzelnen Atomen und einfachen oder komplexen Molekülen auf Oberflächen – inklusive deren Reaktionen über einzelne Defekte auf Halbleiteroberflächen – bis hin zu zweidimensionalen Materialien und deren Heterostrukturen. Das direkte Abtasten erlaubt es zudem, atomare Strukturen lokal zu manipulieren und Reaktionen auf Oberflächen gezielt zu steuern. Lichtgetriebene Rastersondenmikroskopie schließt auch diesen Aspekt der atomaren Manipulation mit ein und macht sie ultraschnell: eine revolutionäre Methode, die gerade erst am Anfang steht.

Filme von Elektronendynamiken mit intensiven Attosekundenblitzen

Während Rastersondenmethoden Proben direkt abbilden, bietet eine andere Methode die ergänzende Möglichkeit, Beugungsbilder aufzuzeichnen: „Coherent Diffraction Imaging“ (CDI) nutzt die kurzwelligen Lichtpulse von FELs und HHG-Quellen, um durch Röntgenbeugung Schnappschüsse von einzelnen Nanoteilchen im freien Flug aufzunehmen und so schnelle Prozesse zu filmen.

Etabliert ist die CDI-Methode schon mit Röntgenpulsen im Bereich von Hunderten von Femtosekunden. Allerdings sind diese Pulse zu lang, um die Bewegung von Elektronen, das Verschieben von Ladung, den Aufbau und das Aufbrechen von Bindungen aufzulösen.

Wir lernen zurzeit, Elektronendynamiken mit CDI direkt sichtbar zu machen, denn wir haben erstmalig die dafür nötigen hochintensiven Attosekunden-Lichtpulse zur Verfügung. Erste Messungen zeigen, dass diese extrem kurzen Röntgenblitze wirklich etwas anderes „sehen“. Die CDI-Bilder von einzelnen Nanoteilchen mit Attosekundenpulsen sind bei bestimmten Photonenenergien deutlich heller als solche, die mit längeren Pulsen derselben eingehenden Gesamtintensität aufgezeichnet wurden. Verantwortlich dafür sind vermutlich Resonanzen, die nur bei so extremen Pulsdauern relevant werden. Nützen könnte diese Verstärkung vor allem der Strukturbiologie, falls nun auch einzelne Proteine ausreichend helle CDI-Bilder liefern können.

Intensive Laser steuern Elektronen im Atom und Molekül

Mithilfe der Attosekundenpulse können wir außerdem lernen, die Eigenschaften von Materie mit Laserlicht zu verändern und zu steuern. Die in Atomen und Molekülen gebundenen Elektronen werden in einem Laserfeld zu einer Bewegung angeregt. Um diese zu messen, werden die Atome und Moleküle erneut mit Laserstrahlen beleuchtet. Man erhält ein charakteristisches Spektrum mit Absorptionslinien. Diese Linien entstehen durch die Absorption ganz bestimmter Lichtfrequenzen durch die Elektronen.

Das Absorptionsspektrum von Atomen ändert sich bei der Bestrahlung mit zwei Atto-/Femtosekunden-Lichtblitzen als Funktion ihres Zeitabstands. Wenn sich beide Blitze treffen, entsteht eine spannende, ultraschnelle Quantendynamik, die wir als gerippte Struktur sehen.
Intensives Laserlicht wird durch Reflektion an speziellen „gechirpten“ Spiegeln auf eine Dauer von wenigen Femtosekunden verkürzt.

Durch das Einstrahlen sehr intensiver Laserfelder lässt sich die Form dieser Linien nicht nur bestimmen, sondern sogar aktiv verändern! Aus dem zeitlichen Ablauf der Veränderung können wir erkennen, wie etwa zwei Elektronen sowohl miteinander als auch mit dem intensiven Laserfeld interagieren. Damit ermöglicht diese Methode, neue Bewegungsabläufe in der Quantenwelt anzustoßen und sichtbar zu machen. Dies wird viele Forschungsfelder voranbringen, von der Ultrakurzzeitphysik über die Femtochemie bis hin zur Nanooptoelektronik. Für die Zukunft rücken auf diese Weise Anwendungen wie die optische Steuerung chemischer Reaktionen oder auch das ultraschnelle Quantenrechnen mit Licht näher an die Realität.

Kalte Weltraumchemie auf der Erde

Chemische Reaktionen laufen nicht nur auf Himmelskörpern wie Planeten oder Sternen ab: Selbst bei den extrem kalten Temperaturen und sehr niedrigen Dichten in den Weiten des Alls können sich Moleküle bilden. Besonders interessant sind dabei die chemischen Reaktionen in Molekülwolken, die etwa die Hälfte der sichtbaren Masse von Galaxien ausmachen.

Moleküle im Weltall lassen sich durch spektroskopische Beobachtungen mit modernen Teleskopen anhand ihrer charakteristischen Spektren ausfindig machen. Aufgrund der großen Entfernung sind uns die Reaktionswege, die zur Bildung oder Zerstörung dieser Moleküle führen, aber weitgehend unzugänglich. Es ist davon auszugehen, dass bei den extremen Bedingungen, die im interstellaren Medium vorliegen, diese anders aussehen als die uns auf der Erde bekannten Abläufe.

In einem kryogenen Speicherring, welcher Ionen bei Temperaturen von wenigen Kelvin auf einer Kreisbahn hält, können Molekülreaktionen durch Stöße ausgelöst werden. Ein Reaktionsmikroskop kann die dabei entstandenen Reaktionsprodukte erfassen: Elektronen, Ionen und neutrale Teilchen. Damit lassen sich deren Geschwindigkeiten und Win­kel­ver­teil­ung nach der Reaktion messen und somit Rück­schlüs­se über die Reaktionspartner, die Wahrscheinlichkeit und den Ablauf der Reaktionen ziehen. So können wir einen Einblick in chemische Reaktionen im Weltall gewinnen, der uns auf der Suche nach dem Beginn des Lebens im Universum weiterbringen kann.

Einblick in das Reaktionsmikroskop im kryogenen Speicherring. Gezeigt sind Bahnen von Elektronen (blaue Spirale) sowie Ionen (rote Kurve) vor dem Nachweis auf den Detektoren, sowie Laser (gelb) und Atomstrahl (grün).

Materialien bei der Arbeit zugeschaut

Operando-Röntgenphotoelektronenmikroskopie an einer Synchrotronanlage.

Um funktionale Materialien maßzuschneidern und zu kontrollieren, muss man ihre elektronische Struktur verstehen. Für viele Fragestellungen ist es deshalb unerlässlich, Experimente unter realistischen Betriebsbedingungen (operando) durchzuführen: Beispielsweise unterscheiden sich bei Katalysatormaterialien die gemessenen Eigenschaften unter Reaktionsbedingungen von denen unter idealisierten Bedingungen. Modernste Spektroskopie- und Mikroskopiemethoden mit Röntgenstrahlung im weichen bis mittleren Röntgenbereich (wenige keV Photonenenergie, typische Bindungsenergien innerer Elektronen), wie sie durch die neueste Generation beschleunigerbasierter Speicherringquellen bereitgestellt werden, sind hierfür unerlässlich.

In der Tat hat sich erwiesen, dass die ex-situ oder unter Ultrahochvakuumbedingungen gemessenen Eigenschaften sich nicht auf die dynamischen Bedingungen des tatsächlichen katalytischen Prozesses übertragen lassen, da die Oberflächeneigenschaften und aktiven Zustände unter Reaktionsbedingungen deutlich verändert sind. Zum Teil konnte dieses Problem durch die Entwicklung des NAP-Ansatzes (Near Ambient Pressure, im mbar-Bereich) umgangen werden. Bei diesem integralen Ansatz fehlt jedoch der wichtige Aspekt der Heterogenität und der unterschiedlichen Reaktion auf der Oberfläche. Die Elementverteilung unter realistischeren Reaktionsbedingungen ist jedoch entscheidend für das Verständnis der katalytischen Leistung. Neueste Instrumente kombinieren daher den NAP-Ansatz mit hochauflösender Röntgenphotoelektronenmikroskopie, sodass z. B. Hydrierungsreaktionen mit chemischem Kontrast direkt verfolgt und damit bisher unverstandene Prozesse entschlüsselt werden können.

Die strukturelle Komplexität moderner Materialien, die oft Strukturelemente im Nanometermaßstab enthalten, erfordern Operando-Fähigkeiten, die zunehmend über die Möglichkeiten der heutigen Speicherringquellen hinausgehen. Ihr volles Potenzial werden die neuen Methoden der Operando-Spektroskopie und -Mikroskopie erst an den Speicherringen der vierten Generation ausschöpfen.

Rupert Huber, Thomas Pfeifer, Jascha Repp, Daniela Rupp und Olaf Schwarzkopf