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Messen als Grundlage von Physik und Technik

Das „Messen“ ist allgegenwärtig in unserer durch Technologie geprägten modernen Gesellschaft, ist eine der wesentlichen konzeptionellen Grundlagen der Physik und hat sogar Kunst und Literatur beflügelt, wie etwa im Roman „Die Vermessung der Welt“.

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Es gibt die „Wissenschaft des Messens und seiner Anwendung“, die Metrologie. Fast jedes Land hat ein nationales Metrologieinstitut, die in der Meterkonvention zusammengeschlossen sind, einer internationalen Organisation, repräsentiert durch das Internationale Büro für Maß und Gewicht (BIPM, franz. „Bureau International de Poids et Mesures“) in Paris. Unter anderem werden hier durch das „Joint Committee for Guides in Metrology“ (gemeinsamer Ausschuss für Richtlinien in der Metrologie) zusammen mit anderen internationalen Organisationen (z. B. ISO für die Normung, OIML für das gesetzliche Messwesen, ILAC für die Akkreditierung) die Begrifflichkeiten rund um das Messen im Internationalen Wörterbuch der Metrologie (VIM, franz. Vocabulaire international de métrologie) festgelegt. Zurzeit wird an VIM 4 gearbeitet.

Was also bedeutet „messen“ in der klassischen Welt (zu unterscheiden vom quantenmechanischen Messprozess, Seite Seite 24) und warum ist es so grundlegend? Schon in der Antike war bekannt, dass sich gewisse Eigenschaften von Phänomenen, Körpern oder Substanzen „messen“ lassen, oder präziser, sich über Verhältnisse vergleichen lassen, es also ein ein „größer“, „kleiner“ oder „gleich“ gibt. Diese Eigenschaften nennen wir allgemeine „Messgrößen“ (engl. general quantity, VIM 4) oder auch einfach nur „Größen“. Diese Größen sind Zeit, Länge, Masse, Temperatur, Ladung – um die wichtigsten zu nennen. Aus den sieben Basisgrößen des internationalen Einheitensystems SI (Seite 209) lassen sich dann alle anderen Größen (wie Kraft, Energie, Leistung, elektrischer Widerstand, magnetische Flussdichte, Kapazität) aufbauen.

So kann man etwa mithilfe der abgebildeten Balkenwaage ermitteln, ob einer von zwei individuellen Körpern (individuelle Messgrößen der generellen Messgröße Masse) „schwerer“, „leichter“ oder „gleich schwer“ ist, oder auch, ob er soundso viel Mal schwerer ist als der andere. Das gilt für alle Größen. Messen bringt also „Ordnung“ in die unendliche Vielzahl der natürlichen Phänomene. Darüber hinaus gibt es wichtige Eigenschaften, wie den Geruch oder den Geschmack, die sich dieser Ordnung entziehen.

Einigt man sich weiterhin auf „Einheiten“, also auf Maßverkörperungen, ursprünglich Artefakte, wie die berühmte „Königliche Elle“ in Ägypten oder das Urkilogramm in Paris, so kann man durch Vergleich den Wert einer individuellen Messgröße, ǀQǀ, z. B. die Masse eines Stuhls (mStuhl) mittels eines numerischen Werts {Q} multipliziert mit der Einheit [Q] (hier 1 kg) ausdrücken: mStuhl = 5,1 kg, oder formal: ǀQǀ = {Q}⋅[Q]. Wichtig ist, dass es immer eine Messunsicherheit gibt, die vom verwendeten Messgerät abhängt (beispielsweise die Ablesegenauigkeit bei der Verwendung eines Maßbands) und die eigentlich immer auch anzugeben ist. Die Einheiten der oben genannten Größen sind dann Sekunde, Meter, Kilogramm, Kelvin, Coulomb, aus denen dann andere Einheiten wie das Newton, Joule, Watt, Ohm, Tesla, Faraday etc. gebildet werden können.

Die numerischen Werte {Q} können dementsprechend als reelle Zahlen aufgefasst werden, wie man beispielhaft daran sieht, dass das Verhältnis von Umfang zum Durchmesser eines Kreises zur reellen Zahl π = 3,141 592 … führt. Dies wiederum bildet die Grundlage dafür, dass man verschiedene Messgrößen quantitativ zueinander in Bezug setzen und daraus allgemeine mathematische Beziehungen in Gleichungen ableiten kann: So führt die Messung der Zeiten, die verstreichen, wenn Körper unterschiedlicher Masse aus unterschiedlicher Höhe auf die Erde fallen, zu den Fallgesetzen.

Letztendlich lassen sich so ganze Klassen von Phänomenen, wie etwa die gesamten elektromagnetischen Erscheinungen, anhand weniger Gleichungen mathematisch ausdrücken: mit den berühmten Maxwell-Gleichungen. Dies ist die moderne Interpretation des verkürzten (und historisch geometrisch gemeinten) Zitats von Galileo Galilei: „Das Buch der Natur ist in der Sprache der Mathematik geschrieben.“

Joachim Ullrich