WISSEN
Physik und Leben

Alleskönner Licht

Die Rolle des Lichts bei der Untersuchung des Lebens geht weit über die Bildgebung hinaus. Mit Licht lassen sich sowohl Biomoleküle als auch ganze Zellen bewegen und verformen. Im Inneren der Zelle kann man Strömungen erzeugen oder lichtempfindliche Prozesse ansteuern. Dabei kommen verschiedene physikalische Effekte zum Tragen.

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Licht ist eine elektromagnetische Welle, die sowohl Energie als auch Impuls übertragen kann. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wissen wir, dass dies mithilfe kleiner Pakete – den Lichtquanten oder Photonen – geschieht. Die Energie der einzelnen Photonen ist an ihre Wellenlänge bzw. Frequenz geknüpft und lässt sich daher über einen weiten Bereich einstellen. Die Tatsache, dass Licht Energie und Impuls besitzt, führt zu vielfältigen Anwendungen in der Physik des Lebens.

Unterschiedliche Zelltypen absorbieren Licht auf unterschiedliche Weise. Krebszellen etwa absorbieren andere Energiepakete – damit Licht anderer Wellenlängen – als gesunde Zellen, weil sie unterschiedliche Biomoleküle enthalten, die bei jeweils unterschiedlichen Energien zu schwingen beginnen. Mit der Raman- oder Infrarotspektroskopie lassen sich solche Unterschiede sichtbar machen. Mit einer anderen Art der Spektroskopie, der Brioullin-Spektroskopie, werden nicht Schwingungen der Moleküle, sondern des Molekülgitters (Phononen) angeregt. Sie geben Unterschiede in der Elastizität von Gewebe preis – ein wichtiger Hinweis auf Tumoren im lebenden Organismus, da diese härter sind als das umgebende Gewebe.

In einem Fourier-Transform-Infrarotspektrometer (FTIR) wird ein Lichtstrahl über eine Probe gerastert, z. B. über einen Gewebeschnitt von einem Patienten. Wenn man Wellenlängen im Infrarot wählt, dann werden viele Molekülschwingungen angeregt. An jedem Punkt wird durch Interferometrie ein Spektrum bestimmt, das Aufschlüsse über die chemische Zusammensetzung der Probe gibt. Damit kann beispielsweise ermittelt werden, ob das Gewebe sich verändert und ein Patient Krebs hat. Die Analyse wird immer öfter durch künstliche Intelligenz erledigt.

Optische Pinzetten und der optische Strecker

Neben solchen diagnostischen Zwecken kann Licht auch Materie manipulieren und steuern helfen. Mikroskopisch feine Partikel, sogenannte Kolloide, lassen sich mit Licht bewegen. Wenn die Kolloide – also zum Beispiel Kügelchen aus Kunststoff oder auch ganze biologische Zellen – einen höheren Brechungsindex als die umgebende wässrige Lösung haben und man sie mit einem Laser anstrahlt, so wird das Licht beim Übergang zum optisch dichteren Material gebrochen. Dabei gibt es einen Impulsübertrag mit einer Kraft, die zum Laserfokus zeigt – das Kolloid wandert also in dessen Mitte und kann durch den Laser festgehalten und geführt werden. Diese sogenannten optischen Pinzetten erlauben es, auch Einzelmoleküle zu untersuchen. Dafür werden diese an langkettige Moleküle (Polymere) gebunden, die wiederum auf der Oberfläche von Kunststoffkügelchen verankert sind.

Der Impuls in einer optischen Falle wird durch die Lichtbrechung übertragen. Dadurch wird das Kügelchen immer wieder in den Laserfokus „zurückgezogen“ und kann daher festgehalten werden. Unten: Schematische Darstellung eines optischen Streckers mit zwei auseinanderlaufenden Laserstahlen, die die Zelle auseinanderziehen.
Durch optische Pinzetten lassen sich Kräfte erzeugen, die ausreichen, um das Protein vollständig zu entfalten. Durch solche Experimente lässt sich viel über die Beziehung zwischen Aufbau und 3D-Struktur lernen (Seite 133).

Ein unerwünschter Nebeneffekt bei optischen Pinzetten ist, dass Zellen dabei überhitzen können – denn Licht überträgt schließlich Energie. Doch was hier stört, kann anderswo nützlich sein. So lassen sich mithilfe von Temperaturgradienten z. B. Biomoleküle trennen und Zellbestandteile bewegen. Eine besonders pfiffige Anwendung ist die wiederholende Erwärmung der Spitze eines Rasterkraftmikroskops, wodurch mechanische Resonanzen verringert werden und deshalb weniger Energie auf die Biomoleküle übertragen wird. Die Absorption und Abstrahlung von Licht in biologischen Systemen kann auch durch Metalloberflächen verstärkt werden, was für die Sensorik oder zur gesteuerten Kontraktion von Gelen verwendet wird.

Der Impulsübertrag zwischen Licht und Materie kann auch dazu verwendet werden, einzelne Zellen auseinanderzuziehen und damit ihre Elastizität zu vermessen. Statt fokussiertem Laserlicht richtet ein optischer Strecker zwei auseinanderlaufende Laserstrahlen auf eine Zelle, um diese in Richtung der Laserstrahlen auseinanderzuziehen. Damit konnten Wissenschaftler:innen unter anderem zeigen, dass einzelne Krebszellen weicher sind als gesunde Zellen.

Optogenetik

In eine Zelle wird durch Gentechnologie ein Protein (weiß) eingeschleust, das durch Licht (gelb) mit hoher räumlicher und zeitlicher Präzision in einen anderen Zustand geschaltet werden kann. In diesem Beispiel wird das Pro­tein von geschlossen nach offen geschaltet und kann dann an Bindungsstellen auf der Zellmembran (grün) andocken. Rechts: Genau dieses Prinzip wurde hier verwendet, um einen biochemischen Signalweg zu stimulieren, der zur Kontraktion von Zellen führt. Die Akkumulation der molekularen Motoren wurde durch Fluoreszenzmikroskopie nachgewiesen; die darauf folgende Krafterzeugung wurde mit Zellkraftmikroskopie gemessen.

Da Zellkräfte für die Zellbewegung entscheidend sind (Seite 139), kann man mit diesem Ansatz z. B. die Bewegung von Zellen kontrollieren. Eine weitere Anwendung von Optogenetik ist die Kontrolle von Ionenkanälen. Wenn so ein Konstrukt in Neuronen eingebaut wird, dann lässt sich sogar das Verhalten dieser Zellen steuern.

Modernste Anwendungen: 3D-Laserdruck und Optogenetik

Durch den Energieübertrag mit Licht lassen sich gezielt bestimmte Prozesse in Gang setzen.

Das Prinzip des optischen Polymer-3D-Drucks: Im Fokus des Lasers entsteht ein Kunststoff, durch die Bewegung des Lasers wird daraus ein räumliches Objekt.
Ein sehr modernes Anwendungsgebiet dafür ist der Zwei-Photonen-Laserdruck. Hierbei absorbiert ein lichtempfindliches Molekül gleichzeitig zwei Photonen und kann sich dann mit seinem Nachbarn verbinden. Durch viele solcher Prozesse entsteht ein langkettiges Polymer. Wie in einem 3D-Drucker, der eine Düse verwendet, entsteht dann im sich bewegenden Laserfokus ein festes Material. Dank der hohen Präzision der fokussierten Laser lassen sich Strukturen mit Abmessungen unter einem Mikrometer drucken. Mit dieser Technologie entstehen beispielsweise winzige Gerüste, in denen dann biologische Zellen wachsen können – ähnlich zu ihrer natürlichen Umgebung im Bindegewebe des Körpers. In Zukunft könnte man mit solchen Gerüsten Zellverbände kontrollieren, die dann ganz spezielle Funktionen ausführen, wie z. B. synchronisierte Kontraktion wie im Herzen oder die Weiterleitung von Nervenimpulsen in Neuronen. Der 3D-Druck von Teilen von Organen rückt damit in greifbare Nähe.

Und auch in lebenden Systemen lassen sich mithilfe von Licht Prozesse anstoßen: Durch genetische Veränderungen kann eine Zelle lichtempfindliche Proteine produzieren, die ihre Funktion genau dann ändern, wenn sie Photonen mit der richtigen Wellenlänge absorbieren. Das Licht wirkt dann wie ein Schalter für einen bestimmten Zellprozess. So lassen sich beispielsweise Neuronen dazu bringen, auf Lichtkommando hin Signale zu übertragen, oder Körperzellen, sich nach Einstrahlung zu bewegen. Eine optogenetische Kontrolle ist heutzutage für fast alle relevanten Zellprozesse möglich und hat eine raumzeitliche Präzision, an die keine biochemische Methode herankommt. Sogar in der Anwendung ist die Optogenetik mittlerweile angekommen: Mit ihrer Hilfe soll in Zukunft das Seh- oder Hörvermögen von entsprechend eingeschränkten Patient:innen wieder hergestellt werden können.

Sarah Köster, Markus Sauer und Ulrich Schwarz