Die Arktis hat sich in den vergangenen 30 Jahren erheblich schneller erwärmt als unser Planet als Ganzes. Durch diesen rasanten Temperaturanstieg verändert sich das Antlitz der Region: Das arktische Meereis schmilzt mindestens seit dem Beginn der Satellitenaufzeichnungen vor mehr als 50 Jahren schneller als erwartet, insbesondere im Spätsommer. Bis tief in den Untergrund gefrorener Boden, sogenannter Permafrost, taut zunehmend auf. Diese Veränderungen haben teilweise dramatische Konsequenzen für die Lebensbedingungen der arktischen Bevölkerung und für die Wildtiere und Pflanzenwelt der Arktis. Außerdem werden weitreichende ökonomische Folgen unter anderem für die Fischerei in arktischen Gewässern, die transozeanischen Schifffahrtsrouten, den Tourismus und die Gewinnung von Ressourcen immer deutlicher.
Diese Klimaveränderungen sind sowohl Folgen als auch Triebkräfte einer Vielzahl von miteinander verknüpften, lokalen und aus der Ferne wirkenden Rückkopplungsmechanismen. Die kombinierten Auswirkungen dieser Rückkopplungen treten in der Arktis stärker zutage als in anderen Regionen, was als arktische Verstärkung bezeichnet wird.

Fernwirkungen zwischen Arktis und mittleren Breiten
Zusätzlich zu den lokalen Mechanismen spielen Fernrückkopplungen eine Rolle für die arktische Verstärkung. So gilt ein Starkwindband in rund zehn Kilometern Höhe, der polare Jetstream, als ein wesentliches Bindeglied zwischen Arktis und mittleren Breiten. Der Jetstream hat einen wellenförmigen Verlauf und ist verantwortlich für die Entwicklung und Verlagerung von Hoch- und Tiefdruckgebieten, die das bekannte wechselhafte Wetter unserer mittleren Breiten verursachen. Umgekehrt bestimmen diese Luftmassenbewegungen den Energiehaushalt der arktischen Atmosphäre stark mit. Besonders ausgeprägt ist dieser Einfluss während der Polarnacht im Winter, wenn die Sonneneinstrahlung – sonst Hauptenergiequelle für das arktische Klimageschehen – wegfällt.
Der Luftmassentransport umfasst sowohl nach Norden in die Arktis hinein gerichtete Warmlufteinschübe (WAIs, Warm Air Intrusions) als auch nach Süden verlaufende Kaltluftausbrüche (CAOs, Cold Air Outbreaks).
WAIs entstehen typischerweise durch eine starke Nordströmung am Westrand eines hochreichenden Hochdruckgebiets bzw. an der Ostseite eines ausgeprägten Tiefs. Von „atmosphärischen Flüssen“ (engl. „atmospheric rivers“) spricht man, wenn der Warmlufteinschub schlauchförmig und im Durchmesser begrenzt ist. Dadurch gelangen oft in aufeinanderfolgenden Pulsen konzentriert warme und feuchte Luftmassen in die Arktis hinein. Viele WAIs reichen im Winter oder zu Beginn des Frühjahrs über den Atlantik in die Arktis. WAIs erwärmen die Atmosphäre in Oberflächennähe hauptsächlich durch den reichlich darin enthaltenen Wasserdampf, der als effizientes Treibhausgas wirkt und somit die abwärts gerichtete Wärmerückstrahlung aus der Atmosphäre erhöht.
WAIs begünstigen außerdem die Bildung von tiefen Wolken in der atmosphärischen Grenzschicht, welche die Gegenstrahlung weiter verstärken. Diese Wasserdampf- und Wolkeneffekte sind bei der Erwärmung der oberflächennahen arktischen Luft oftmals effizienter als der während WAIs durch die atmosphärische Strömung verursachte direkte Wärmetransport von Süden nach Norden. Schätzungsweise erhöhen die WAIs die oberflächennahen Lufttemperaturen in der Arktis im Winter um bis zu 5° C. Dies kann dazu führen, dass die Meereisschmelze früher beginnt und sich Schmelztümpel intensiver ausbilden. Beides verringert die Fähigkeit des Meereises, Sonnenstrahlung zu reflektieren.
Die Kaltluftausbrüche (CAOs) hingegen können polare Tiefdrucksysteme (Polartiefs) über dem Arktischen Ozean verursachen und die Kontinente der mittleren Breiten führen und die subpolaren Ozeane abkühlen. Dies kann zu extremen Wetterlagen in den mittleren Breiten führen. Arktische CAOs treten im Mittel ungefähr 30-mal im Jahr auf, am häufigsten im Winter. Die während der CAOs nach Süden strömenden Luftmassen verändern ihre Eigenschaften massiv, hauptsächlich aufgrund der großen Temperaturunterschiede über dem Meereis im Vergleich zum offenen Ozean, die mehr als 30 Grad betragen können: Der eisfreie Ozean (ca. −1 °C) gibt Wärme an die viel kältere Luft (−20 °C bis −30 °C) ab. Wie groß diese Wärmemenge ist, hängt von der freigelegten Wasseroberfläche ab. Kaltluftausbrüche können in der Arktis für 60–80 Prozent der vom Ozean in die Atmosphäre übertragenen Wärme verantwortlich sein. Diese Übertragungen erwärmen und befeuchten die sich nach Süden bewegenden Luftmassen rasch. Das löst eine vertikale atmosphärische Instabilität aus, welche die Durchmischung des Ozeans und die Meereisbildung beeinflussen kann. Wolken entwickeln sich während mariner CAOs zunächst als Wolkenstraßen (Rollzirkulation) und später zu offenen Zellen. Diese Prozesse sind in Modellen schwierig abzubilden. Eine realistischere Darstellung könnte deutlich bessere Wettervorhersagen und Klimamodelle für die Arktis und die mittleren Breiten ermöglichen.
Grenzen und Erfolge der Modelle
Es gibt Hinweise darauf, dass der polare Jetstream sich aufgrund des Klimawandels verlangsamt und seine Wellen stärker nach Norden und Süden mäandrieren. Damit würde sich der Transport von Luftmassen in und aus der Arktis verändern. Wie genau das geschieht, ist aber noch nicht abschließend geklärt.
Allgemeine globale Zirkulationsmodelle (GCMs), die zur Simulation des zukünftigen Klimas verwendet werden, liefern zwar Aussagen über den Einfluss der arktischen Erwärmung auf das Wetter und das Klima in den mittleren Breiten. Allerdings sagen die Modelle des internationalen Klimamodell-Vergleichsprojekts CMIP5 (Coupled Model Intercomparison Project Phase 5) den Feuchtigkeitsfluss aus dem Atlantik in die Arktis systematisch zu niedrig voraus, wie ein Vergleich mit meteorologischen Datensätzen ergab. Darüber hinaus zeigen GCMs Schwächen darin, die Entwicklung von Wolken der atmosphärischen Grenzschicht während der Luftmassenumwandlungsprozesse im Zusammenhang mit WAIs und CAOs realistisch zu simulieren. Problematisch sind dabei Modellparametrisierungen, welche beispielsweise die Eiskristallbildung in Mischphasenwolken überbewerten. Es gibt jedoch auch Modelle, die tiefliegende, flüssiges Wasser enthaltende Wolken in der Arktis überschätzen. Die Unstimmigkeiten zwischen den Modellen deuten darauf hin, dass die zugrundeliegenden Ursachen bei der Darstellung von Strahlungs- und Turbulenzprozessen, die von der Eisbildung beeinflusst werden, unsicher sind. Um mögliche Gründe für Diskrepanzen zwischen und innerhalb einzelner Modelle zu klären, braucht es detaillierte Untersuchungen der Fähigkeiten der Modelle, in der Natur beobachtete Schlüsselprozesse im Computer zu reproduzieren.
Unverzichtbar für eine bessere Repräsentation der arktischen Klimaveränderungen in numerischen Modellen sind Messdaten aus dieser abgelegenen Region. Polarforscher:innen sind deswegen regelmäßig vor Ort, um Messungen und Beobachtungen durchzuführen. Zu einer ganz besonderen Expedition brachen sie 2019 auf (siehe MOSAiC-Expedition auf der nächsten Doppelseite): Angedockt an eine Eisscholle, driftete der Forschungseisbrecher Polarstern ein ganzes Jahr lang mit dem Eis. Die Wissenschaftler:innen erhoben währenddessen Daten zu Austauschprozessen zwischen Ozean, Eis und Atmosphäre sowie zum Ökosystem, erstmals auch im polaren Winter. Diesen reichen Schatz an Daten auszuwerten, dürfte noch einige Jahre in Anspruch nehmen – am Ende winken aber detaillierte neue Einblicke in die Dynamik der Arktis und ihre Reaktion auf die Folgen des Klimawandels.