WISSEN
Unsere Erde

Das Anthropozän

Die aktuelle Entwicklung der Erde ist gekennzeichnet von einem weltweit durchdringenden und rasch zunehmenden Einfluss menschlicher Aktivitäten auf den Planeten – vom Äquator bis zu den Polkappen und von der Landoberfläche über die Atmosphäre und Biosphäre bis hin zu den Ozeanen.

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Veränderungen atmosphärischer Treibhausgaskonzentrationen in der jüngeren Erdgeschichte bestimmt durch die Analyse von Lufteinschlüssen in Eisbohrkernen: (a) Eiszeitzyklen der letzten 800 000 Jahre mit Zusatzfenster (b) zum Übergang von der letzten Eiszeit ins Holozän; (c) Entwicklung in 2000 Jahren aktueller Zeitrechnung mit steiler Zunahme und Übergang vom Holozän ins Anthropozän in den letzten Jahrhunderten bzw. Jahrzehnten. Atmosphärische Messdaten aus dem Jahr 2023 sind in (c) – außerhalb der Skala – an den vertikalen Pfeilen angegeben.

In der geologischen Epoche des Holozäns, die vor etwa 11 000 Jahren begann, lag die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre weitgehend stabil bei etwa 260–280 ppm, und auch die Temperaturen an der Erdoberfläche und die Höhe des Meeresspiegels zeigten im globalen Mittel relativ geringe Schwankungen. Unter diesen günstigen und stabilen Bedingungen entwickelte sich die menschliche Zivilisation von der Jungsteinzeit bis zur Neuzeit.

Seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert erfolgte jedoch eine starke Zunahme von Kohlendioxid (CO2) und weiteren Treibhausgasen wie Methan (CH4) und Lachgas (N2O) in der Atmosphäre. Die aktuellen Treibhausgaskonzentrationen liegen nun nicht nur weit über den stabilen Werten des Holozäns, sondern auch weit außerhalb der natürlichen Schwankungsbreite der Eiszeiten und Warmzeiten des Pleistozäns über einen Zeitraum von etwa einer Million Jahren, welcher die gesamte Entwicklung des modernen Menschen (Homo sapiens) umfasst.

Die massiven Konzentrationsveränderungen von Treibhausgasen und anderen Spurengasen in der Atmosphäre zeigen, wie stark der Mensch in die globalen Stoffkreisläufe eingreift: in den Kohlenstoffkreislauf durch die Verbrennung fossiler Kraftstoffe sowie in den Stickstoffkreislauf durch die Erzeugung und Verwendung von Stickstoffdünger und die Freisetzung von Stickstoffoxiden. Die steile Zunahme der Treibhausgaskonzentrationen außerhalb der natürlichen Schwan­kungsbreite lässt sich eindeutig auf anthropogene Emis­sionen zurückführen. Es gibt keine plausible alternative Erklärung dafür. Dasselbe gilt für die rapide globale Erwärmung unserer Zeit, also für die Zunahme der mittleren globalen Oberflächentemperatur um etwa 1,5­°C in den knapp zwei Jahrhunderten von 1850 bis heute.

Im Jahr 2000 stellte der Atmosphärenforscher Paul Crutzen fest, dass das Erdsystem vom Holozän mit seinen stabilen Umweltbedingungen in eine neue, vom Menschen geprägte geologische Epoche übergegangen war. Er prägte den Begriff Anthropozän für dieses neue Erdzeitalter. In der Folge gab es verschiedene Vorschläge für den formalen Beginn des Anthropozäns. Neben der globalen Industrialisierung im 18./19. Jahrhundert wurde auch der Beginn des Ackerbaus in der Jungsteinzeit vorgeschlagen, welcher zwar zu regionalen Veränderungen führte, im globalen Maßstab jedoch kaum nachweisbar ist und mit dem Beginn des klimatisch sehr stabilen Holozäns zusammenfällt. Eine Gleichsetzung des Beginns von Anthropozän und Holozän wäre naturwissenschaftlich weder naheliegend noch nutzbringend, und eine Gleichsetzung mit dem Beginn der Industrialisierung wäre zwar anhand der Zunahme von Treibhausgaskonzentrationen in Eisbohrkernen und ähnlichen Parametern möglich, würde aber nicht den formalen Anforderungen für die offizielle Definition einer geologischen Epoche entsprechen, die in Sedimenten weltweit nachvollziehbar sein sollte.

Charakteristische Klimaindikatoren für ausgewählte Vergleichszeiträume im Laufe der Erdgeschichte seit etwa 50 Millionen Jahren (vereinfacht nach IPCC 2021). Links: mittlere atmosphärische CO2-Konzentration und mittlere globale Oberflächentemperatur relativ zum Vergleichszeitraum 1850–1900, rechts: globaler mittlerer Meeresspiegel relativ zum Jahr 1900. Der Übergang vom Holozän zum Anthropozän zeigt sich im steilen Anstieg der Werte binnen kurzer Zeit (ca. 200 Jahre zwischen prä-industriellen und aktuellen Bedingungen, Pfeile) verglichen mit relativ geringen Unterschieden bzw. viel längeren Zeiträumen zwischen den anderen Referenzperioden (Tausende bis Millionen Jahre).

Dementsprechend schlug die Anthropozän-Arbeitsgruppe (AWG) der Internationalen Kommission für Stratigrafie (ICS/IUGS) im Frühjahr 2024 vor, den Beginn des Anthropozäns anhand von Plutonium-Konzentrationsspitzen festzulegen, die aus radioaktiven Niederschlägen von Atomwaffentests in der Mitte des 20. Jahrhunderts stammen und weltweit nachweisbar sind (siehe auch „Die Büchse der Pandora“, Seite 323). In diese Zeit der „großen Beschleunigung“ menschlicher Aktivitäten und Einflussnahme auf das Erdsystem fallen auch besonders hohe Wachstumsraten und Wendepunkte in den Wachstumskurven für die Weltbevölkerung und den weltweiten Primärenergieverbrauch.

Der Vorschlag der AWG zur Definition der geologischen Epoche enthielt als Vergleichsstandard einen sogenannten „Golden Spike“ in den Sedimentschichten eines stratigrafisch geeigneten Sees in Kanada (Crawford Lake). In einer inhaltlich und formal umstrittenen Abstimmung einer ICS-Subkommission wurde der AWG-Vorschlag vorerst abgelehnt. Führende AWG-Mitglieder, Geolog:innen und Erdsystemforscher:innen arbeiten jedoch weiter daran, die genannte oder eine ähnliche geologische Definition für den Beginn des Anthropozäns zu etablieren.

Ob nun geologisch definiert oder nicht – der Anthropozän-Begriff hilft kognitiv und emotional zu erkennen und zu kommunizieren: Wir sind in der Lage und haben bereits damit begonnen, den Planeten und unsere Umwelt tiefgreifend zu verändern. Also sollten wir versuchen, dabei in die richtige Richtung zu gehen und die Grundlagen unserer Zivilisation nicht zu gefährden.

Ulrich Pöschl