WISSEN
Unsere Erde

Die Kryosphäre

Die gefrorenen Komponenten des Klimasystems spielen eine wesentliche Rolle für die Energiebilanz an der Erdoberfläche, den Gasaustausch zwischen der Erdoberfläche und der Atmosphäre sowie den Wasserkreislauf – mit zurzeit drastischen Konsequenzen für die Verfügbarkeit von Wasser und den Anstieg des Meeresspiegels.

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Eis und Schnee haben eine Vielzahl von Erscheinungsformen: Sie bilden Gletscher, Eisschilde und Schelfeis, Meereis, Schnee, Fluss- und Seeeis sowie dauerhaft gefrorenen Boden, den Permafrost. Größtenteils findet man diese kalten Komponenten unseres Erdsystems in den Polarregionen und in Höhenlagen der mittleren und niederen Breiten. Diese Kryosphäre reagiert empfindlich auf Veränderungen des Klimas, was sie zu einem natürlichen Sensor für Klimaschwankungen und zu einem sichtbaren Ausdruck des Klimawandels macht. In der Vergangenheit unterlag die Kryosphäre großen Schwankungen, die mit Eiszeiten und kurzfristigeren Klimaänderungen wie der Jüngeren Dryaszeit (ca. 10 000 v. Chr) oder der Kleinen Eiszeit (ca. 1400–1900 n. Chr.) verbunden waren. Gegenwärtig gehen Schnee, Eis und Permafrost aufgrund des menschengemachten Klimawandels und den damit verbundenen steigenden Luft- und Ozeantemperaturen zurück.

Meereis in Arktis und Antarktis

Das Eis auf dem Ozean wird als Meereis bezeichnet. Im Gegensatz zu Süßwassereis, das man auf Seen findet, ist Meer­eis, angetrieben von Wind und Meeresströmungen, immer in Bewegung. Dadurch entstehen Risse im Eis und es bilden sich Verwerfungen, wenn Schollen gegeneinander gedrückt werden. So entsteht eine faszinierende Eislandschaft, die auch vielen Tieren als Lebensraum dient. Meereis unterscheidet sich nicht nur in seiner äußeren Form, sondern auch physikalisch vom Süßwassereis: Das im Ozeanwasser enthaltene Salz wird beim Gefrieren zum größten Teil in den Ozean abgegeben oder als Salzlake in Taschen und Kanälen im Eis eingelagert, was zu unterschiedlicher Lichtbrechung und Festigkeit des Eises führt. Auch wie das Eis gefriert, ist unterschiedlich: Süßwasser hat bei 4 °C die höchste Dichte. Deshalb kann kälteres Wasser darüber liegen, und Seen frieren von oben nach unten zu. Salzhaltiges Meerwasser hat diese Dichteanomalie nicht: Die gesamte obere durchmischte Schicht des Ozeans muss, abhängig vom Salzgehalt, auf etwa −1,8 °C abkühlen, bevor Meereis wachsen kann.

Meereis und der darauf liegende Schnee werfen die Sonnenstrahlung viel stärker zurück als der umgebende dunkle Ozean. Das beeinflusst die Energiebilanz an der Erdoberfläche sowie auch die Schichtung und das Temperaturprofil in der Atmosphäre. Daraus ergeben sich Rückkopplungseffekte, die die Temperaturzunahme in den Polarregionen verstärken können: Fehlt z. B. das stark reflektierende Eis, dann erwärmt sich im Sommer das Wasser durch Einstrahlung noch stärker. So sind die Temperaturen nördlich von 60 °N in den letzten Jahrzehnten mehr als doppelt so stark gestiegen wie im globalen Durchschnitt (siehe Seite 127).

Innerhalb eines Winters wächst Meereis auf ein bis zwei Meter Dicke an. Übersteht es den Sommer und wächst noch mehrere Jahre weiter, so kann es mehrere Meter dick werden.

Zeitliche Entwicklung des Meereises in der Arktis aus Satellitendaten. Die Daten aller Jahre sind übereinander dargestellt. Die Abnahme von Dekade zu Dekade ist aus den Farben zu erkennen. Unten: Die minimale und maximale Meereisausdehnung im Jahr 2024 für die Arktis (links) und Antarktis (rechts). Die orange Linie zeigt zum Vergleich die mittlere Meereisausdehnung der Jahre 1981 bis 2010.
In der Arktis ist dieses dickere mehrjährige Eis in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen (etwa 13% Flächenabnahme pro Jahrzehnt). Verglichen mit den 1970er- und 1980er-Jahren übersteht heute nur noch etwa die Hälfte der Meereisfläche in der Arktis den Sommer nach seiner Entstehung. Auch im Winter nimmt die Meereisfläche ab, wenn auch nicht ganz so stark. Im gleichen Zeitraum ist auch die Eisdicke zurückgegangen. Klimaprojektionen sagen voraus, dass die Arktis vor 2050 im Sommer mindestens einmal praktisch eisfrei sein wird (Fläche kleiner 1 Mio. km2) – selbst wenn die Treibhausgasemissionen drastisch sinken.

In der Antarktis ist bisher keine so umfassende Meereisabnahme zu beobachten. Die Meereisbedeckung schwankt hier sehr stark von Jahr zu Jahr und es gibt große regionale Unterschiede. Trotz eines negativen Trends in den vergangenen zehn Jahren kann man noch nicht klar sagen, dass das Eis hier weniger wird – und das, obwohl auch die Ozean- und Lufttemperaturen in der Antarktis steigen. Dies ist auf regionale atmosphärische und ozeanische Zirkulationsmuster zurückzuführen.

Gletscher und Eisschilde gehen zurück

Massenbilanz des Grönländischen und Antarktischen Inlandeises der vergangenen Jahrzehnte: deutlicher Massenverlust.

Ein weiteres weltweit sichtbares Zeichen der globalen Erwärmung ist der Rückgang der Gebirgsgletscher. Insbesondere seit 1990 hat die Schmelzrate stark zugenommen. Konsequenzen des Gletscherschwunds sind ein Anstieg des Meeresspiegels und die im Frühjahr und Sommer beobachtete Abnahme an Schmelzwasser in den Flüssen. Letzteres wirkt sich negativ auf die Landwirtschaft und die Wasserkraft in den Tälern der Anden, der Alpen und des Himalajas aus.

Einen etwa gleich großen Beitrag zum Meeresspiegelanstieg wie die Gebirgsgletscher liefert derzeit der schrumpfende Grönländische Eisschild. Dieser verliert jeweils zur Hälfte durch Schmelzwasser und durch Transport des Eises ins Meer an Masse. Der Massenverlust des Antarktischen Eisschilds erfolgt im Wesentlichen durch den zweiten Prozess – am deutlichsten in der Westantarktis. Der Grund dafür sind regional stark steigende Temperaturen und Veränderungen der ozeanischen Zirkulation über dem kontinentalen Schelf, die zu beschleunigtem Ausfluss von Eis führen.

Der Meeresspiegel steigt

Anstieg des Meeresspiegels aus Satellitenmessungen. Der Anstieg beschleunigt sich.

Das Abschmelzen der Gletscher lässt den Meeresspiegel ansteigen. Neben dem Zufluss von Schmelzwasser von den Kontinenten spielt auch die Erwärmung des Meerwassers eine wichtige Rolle, weil sie dazu führt, dass sich das Wasser ausdehnt.

Zwar sind Schwankungen des Meeresspiegels auf großen Zeitskalen normal: Seit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 20 000 Jahren ist der Meeresspiegel um rund 120 Meter gestiegen! Allerdings stabilisierte er sich vor 2000 bis 3000 Jahren und blieb vom Beginn unserer Zeitrechnung bis 1900 nahezu konstant. In dieser Zeit konnten an den Küsten Siedlungen entstehen. Aus ihnen haben sich viele Großstädte entwickelt, die jetzt durch den aktuellen Anstieg des Meerwassers bedroht sind.

Seit 1900 ist der Meeresspiegel global um etwa 20 cm gestiegen. Pegelmessungen und Satellitenbeobachtungen zeigen allerdings für die Jahre 2006 bis 2018 einen deutlich gestiegenen Anstieg von 3,7 mm pro Jahr. Bis 2100 dürfte sich der Meeresspiegel noch einmal um 25 bis 100 cm erhöhen – abhängig von den künftigen CO2-Emissionen und dem daraus folgenden Erwärmungstrend.

Zeitliche Entwicklung des CO2-Gehalts der Luft seit 800 000 Jahren, ermittelt aus Lufteinschlüssen im Eiskern von EPICA Dome C in der Antarktis (orange) und direkten Messungen von Luftproben (blau). Das rechte Bild zeigt den vergrößerten Ausschnitt der letzten rund 400 Jahre.

Peter Lemke, Heinrich Miller und Gunnar Spreen