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Unsere Erde

Der Ozean im Klimasystem

Der Ozean spielt eine entscheidende Rolle für das Klima: Jahrzehntelange Megadürren, jahrhundertelange Kälteperioden und jahrtausendelange globale Eiszeitzyklen hängen mit seinem Einfluss zusammen. Dabei ist er das Zuhause der größten vernetzten Biosphäre auf dem Planeten mit einer noch zu entdeckenden Artenvielfalt – und in seinen Tiefen ist er einer der letzten noch unerforschten Bereiche unseres Planeten.

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Der Ozean steht unter Stress – nicht nur durch Verschmutzung und Übernutzung, sondern auch durch den menschengemachten Klimawandel. Dieser macht sich in allen Winkeln der Erde bemerkbar: An Land und im Wasser steigen die Temperaturen, während die schneebedeckten Flächen und das Eisvolumen der Erde schrumpfen. In vielen Regionen werden Niederschläge seltener und weniger, in anderen Regionen nehmen sie zu. Der Meeresspiegel steigt. Hitzewellen im Meer führen zur Korallenbleiche, und Sauerstoffminimumzonen breiten sich in tieferen Ozeanschichten aus. Die globale Umwälzbewegung des Ozeans, die thermohaline Zirkulation, wird sich in Zukunft verlangsamen.

Dabei wäre die globale Erwärmung ohne die Weltmeere noch viel deutlicher, denn aktuell nehmen sie mehr als 90 Prozent der zusätzlichen Wärme auf, die durch den von uns Menschen verstärkten Treibhauseffekt entsteht. Und nicht nur das: Der Ozean absorbiert bislang auch bis zu einem Drittel des gesamten Kohlendioxids, das durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas freigesetzt wird. Die Aufnahme und Speicherung geschieht durch die physikalische Pumpe: An der Oberfläche kühlt das Wasser ab und wird dadurch dichter, sinkt in das Ozeaninnere und nimmt die in ihm gelösten Substanzen mit. Das zusätzliche Kohlendioxid darin lässt das Ozeanwasser chemisch sauer werden – ein Problem vor allem für Meeresbewohner wie Korallen, Muscheln oder einige Planktonarten, deren Kalkschalen von der Säure angegriffen werden.

Auch die zusätzliche Wärme bleibt nicht ohne Folgen: Zum einen sind die steigenden Wassertemperaturen selbst ein Stressfaktor für viele marine Lebewesen. Zum anderen dehnt sich wärmeres Meerwasser aus und erhöht somit den globalen Meeresspiegel. Seit dem Beginn der Industrialisierung ist dieser global bereits um mehr als 20 Zentimeter gestiegen, wobei der regionale Anstieg je nach den geophysikalischen Gegebenheiten schwächer oder stärker ausfallen kann. Lange Zeit war die thermische Ausdehnung des Ozeans die Hauptursache für den Anstieg des Meeresspiegels. Mittlerweile lässt der Klimawandel allerdings die Eisschilde von Grönland und der Antarktis sowie global die Gletscher schmelzen, und zwar nicht nur an der Oberfläche durch die Erwärmung der Atmosphäre, sondern auch durch erwärmtes Wasser an der Unterseite der Schelfeise und der Gletscher, die im Meer enden. Der Beitrag des Schmelzwassers dominiert mittlerweile den globalen Meeresspiegelanstieg.

Das zusätzliche Schmelzwasser beeinflusst auch die Meeresströmungen. Diese verbinden alle Ozeanbecken und sorgen für den Austausch mit den Randmeeren und Küstenregionen. Sie transportieren Energie, Gase, Nährstoffe und viele andere Substanzen rund um den Globus. Ein Beispiel ist die Atlantische Umwälzzirkulation (AMOC, engl. „Atlantic meridional overturnal circulation“): Sie bringt im Atlantik warmes, salzreiches Wasser nach Norden und transportiert kaltes, salzärmeres Wasser in der Tiefe zurück nach Süden. Klimamodelle zeigen, dass diese hochgradig klimarelevante Strömung bis zum Ende des Jahrhunderts um mehr als ein Drittel abnehmen könnte, abhängig davon, wie sich die Treibhausgasemissionen entwickeln. In Afrika und Südamerika sind dadurch je nach Region eine Zunahme von Dürreperioden oder Starkregen zu erwarten. In West- und Nordeuropa würde die Klimaerwärmung hingegen abgeschwächt. Der Meeresspiegel in der Nordsee würde allerdings stärker steigen, und wir hätten mehr Stürme zu erwarten als ohne Änderung der AMOC.

Die AMOC besitzt ein komplexes System aus verschiedenen Strömungsgebieten. Warmes Oberflächenwasser wird dabei aus den subtropischen Gewässern nach Nordeuropa transportiert.

Die kontinuierliche Vermessung der AMOC ist erst seit rund 30 Jahren möglich – zu kurz, um sicher sagen zu können, ob sie sich verändert hat. Doch wenn diese Strömung zusammenbräche, könnte das unumkehrbar sein. Die AMOC gilt unter Klimawissenschaftler:innen deshalb als potentieller Kipppunkt, dessen Eintreten dem Sonderbericht des Weltklimarats über Ozean und Kryosphäre aus dem Jahr 2019 zufolge unwahrscheinlich, aber physikalisch möglich ist.

Infolge der zahlreichen Veränderungen im Ozean haben einige marine Arten ihre geografischen Verbreitungsgebiete und saisonalen Aktivitäten verlagert – meist in Richtung der Pole – und sich damit schon teilweise an die Ozeanerwärmung, die Verringerung der Meereisbedeckung und biogeochemische Veränderungen ihrer Lebensräume (wie Versauerung und Sauerstoffverlust) angepasst. In den neuen Lebensräumen konkurrieren sie mit den eingesessenen Arten, was kaskadenartige Auswirkungen auf Nahrungsnetze und die Struktur und Funktionsweise der Ökosysteme hat. Die Veränderungen, die die kombinierten Belastungen durch Klimawandel, Übernutzung, Zerstörung von Lebensräumen sowie die Verschmutzung nach sich ziehen, sind noch nicht gut dokumentiert – sie könnten aber dramatisch sein und schwerwiegende Folgen auch für uns Menschen haben.

Der Ozean ist ein miteinander durch Strömungen verknüpftes System – hier stark vereinfacht dargestellt. Das globale Förderband zieht sich durch alle Weltmeere und stellt so einen wichtigen Faktor zur Verteilung von Energie und Materialen dar. Je genauer die verschlungenen Strömungen und die Auswirkungen von Veränderungen auf das Gesamtsystem bekannt sind, desto präziser und langfristiger sind Vorhersagen der Ozeanforschung – und können so Entscheidungsträger:innen helfen, Maßnahmen gegen unerwünschte Veränderungen zu etablieren.

Integriertes Beobachtungs- und Modellierungssystem

Um den Ozean besser zu verstehen und Entscheidungsträger:innen gut zu beraten, benötigen wir ein fortschrittliches Beobachtungssystem, das Echtzeitdaten aus Atmosphäre, Ozean und Kryosphäre umfassend integriert. Solch ein globales In-Situ-Beobachtungssystem würde die weltraumgestützten Ozeanbeobachtungen ergänzen und an aktuelle Methoden anknüpfen: Autonome Roboterplattformen wie passive Schwimmsonden („Floater“ und „Drifter“) und aktive Gleiter ergänzen bereits zunehmend die hochpräzisen Messungen von Forschungsschiffen, und müssten zukünftig den vollständigen Tiefenbereich des gesamten Ozeans abdecken. Bei der Analyse der entstehenden großen Beobachtungsdatensätze könnten Deep-Learning-Techniken helfen, ganz neue Zusammenhänge aufzudecken. Ein solches Beobachtungssystem würde die Datengrundlagen schaffen, die für das Verständnis und die Bewertung der Prozesse im Erdsystem sowie für die Entwicklung von belastbaren Vorhersagen erforderlich sind.

Floater, Drifter und Gleiter sind autonome Sonden, die über mehrere Jahre hinweg Messdaten aus dem Ozean liefern. Sie werden von den Meeresströmungen transportiert und können aus eigenem Antrieb teilweise bis zu mehreren Tausend Metern tief abtauchen und wieder aufsteigen. Im Bild: Ein Arvor-Floater, der im weltweiten ARGO-Projekt mit tausenden solcher und ähnlicher Sonden verwendet wird.

Darüber hinaus werden Beobachtungsdaten zum Erdsystem und Ozean in Rechenmodelle überführt, um die vielfältigen Prozesse und Wechselwirkungen in der Natur abbilden und entschlüsseln zu können. Modelle der Atmosphäre, des Ozeans und der Kryosphäre, also des gefrorenen Wassers auf der Erde, in eigenständiger und gekoppelter Form, sind in den vergangenen Jahrzehnten deutlich besser geworden. Um jedoch das volle Potenzial dieser Modelle ausschöpfen zu können, müssen sie möglichst sämtliche Teilsysteme der Erde umfassen, einschließlich des menschlichen Einflusses und seiner Veränderung. Für das Design und die Architektur dieser Computermodelle werden konzeptuelle, statistische und innovative numerische Ansätze genutzt. Damit diese Modelle ein echter „digitaler Zwilling“ der Erde werden können, sind noch deutliche Verbesserungen erforderlich, etwa in der Darstellung komplexer nicht-linearer physikalischer Prozesse wie der Wolkenbildung in der Atmosphäre, des Ozeanwetters einschließlich der Extreme oder der dynamischen und thermodynamischen Prozesse an der Schnittstelle zwischen Eisschild und Ozean. Derzeit übersteigt der Rechenaufwand für solche umfassenden Modelle bei hoher Auflösung die Kapazitäten der derzeitigen Großrechenanlagen noch deutlich – auch hier sind Fortschritte notwendig und möglich.

Wir brauchen also kombinierte Überwachungs- und Modellierungsanstrengungen in der Erdsystemwissenschaft, um potentielle Überraschungen im Klimasystem einschätzen zu können, aber auch, um Interventionsmöglichkeiten zu erkunden. Ein Beispiel ist der Meeresspiegelanstieg: Für politische und technische Entscheidungen zu Schutz-, Rückzugs- und Umsiedlungsmöglichkeiten für bewohnte Regionen und Infrastruktur sind genaue Prognosen zum regionalen und lokalen Anstieg in den nächsten 50 bis 100 Jahren erforderlich. Auch naturbasierte Lösungen für den CO2-Entzug aus der Atmosphäre sind weiterhin Gegenstand der Forschung und Teil einer möglichen Lösung des Klimaproblems. Klar ist an erster Stelle aber, dass unabhängig davon entschiedene Maßnahmen ergriffen werden müssen, um den Ausstoß von Treibhausgasen innerhalb weniger Jahre auf null zu reduzieren.

Monika Rhein und Martin Visbeck