Zwar beschreibt schon die auf Isaac Newton zurückgehende Gravitationstheorie die Mehrzahl der galaktischen und planetaren Phänomene zutreffend und für viele Zwecke ausreichend genau. Für das Verständnis der kosmischen Entwicklung, der Pulsare oder der Schwarzen Löcher braucht es jedoch die von Albert Einstein entwickelte allgemeine Relativitätstheorie (ART). Diese wird auch für in den letzten Jahren entwickelte sehr genaue experimentelle Methoden immer wichtiger, ebenso wie für Alltagsanwendungen wie das GPS, die Definition der internationalen Atomzeit oder die Geodäsie.
Diese Beschreibung der Schwerkraft durch die Metrik der Raumzeit ist erheblich komplizierter und damit auch reichhaltiger als die Newtonsche Beschreibung. Außer der Anziehung zwischen Massen enthält sie einen Anteil, der wie ein gravitatives Magnetfeld wirkt, und einen weiteren, der wellenförmige Schwingungen der Raumzeit beschreibt. Jeder dieser Anteile äußert sich auf ganz spezielle Weise in Beobachtungen oder Experimenten.
Grundzüge der allgemeinen Relativitätstheorie
Die ART baut auf zwei Grundsätzen auf. Erstens: Alle Körper fallen im Gravitationsfeld gleich schnell, unabhängig von ihrer Größe und Zusammensetzung. Dies ist das Äquivalenzprinzip. Zweitens lauten physikalische Gesetze in allen Bezugssystemen gleich, unabhängig davon, wo und in welchem Bewegungszustand sich das Bezugssystem befindet. Die Gültigkeit dieser Grundlagen wurde experimentell mit enorm hoher Genauigkeit gesichert. Diese beiden Grundsätze besagen, dass die Gravitation durch eine Geometrie beschreibbar ist, die Raum und Zeit miteinander verknüpft (Raumzeit) und dass man sie durch Wahl eines geeigneten Bezugssystems verschwinden lassen kann: Im freien Fall wirkt lokal keine Schwerkraft.
Die Einsteinschen Feldgleichungen legen fest, wie die Geometrie der Raumzeit auf die Anwesenheit von Materie und Energie reagiert. Dies führt zu einer Metrik, die den Abstand zweier beliebiger Punkte in der Raumzeit beschreibt. Der Abstand zweier Punkte auf einer Kurve durch die Raumzeit lässt sich interpretieren als diejenige Zeit, die aus eigener Sicht vergeht, wenn man sich längs dieser Kurve bewegt. Aus dieser Überlegung ergibt sich ein Bewegungsgesetz, bei dem an die Stelle gerader Linien für frei fallende Körper die kürzesten Linien (Geodäten) treten. Diese geodätischen Linien folgen mit ihrer Krümmung der Geometrie der Raumzeit.
Experimentelle Bestätigung der ART
Einstein selbst konnte die Vorhersagen seiner Theorie nur im sehr schwachen Gravitationsfeld des Sonnensystems überprüfen. Er erkannte, wie ein bis dahin unverstandener, kleiner Beitrag zur Periheldrehung des Planeten Merkur aus seiner Theorie folgt. Weiterhin sagte er voraus, dass Sternlicht, das auf seinem Weg zu irdischen Teleskopen nahe an der Sonne vorbeigeht, doppelt so stark abgelenkt würde wie aufgrund der Newtonschen Theorie zu erwarten wäre. 1919 konnte Sir Arthur Eddington diese Ablenkung während einer totalen Sonnenfinsternis tatsächlich messen. Daraufhin erlangte die ART große Akzeptanz als neue, verbesserte Theorie der Raumzeit und der Gravitation.
Die ART sagt viele weitere Effekte voraus, die sich aus der vorherigen Newtonschen Gravitationstheorie nicht ergeben. Zu den bekanntesten und wichtigsten Auswirkungen der allgemeinen Relativitätstheorie gehören:
- Periheldrehung: Körper umlaufen andere Körper nicht auf geschlossenen, elliptischen Bahnen, sondern auf Rosettenbahnen, die sich von einem Umlauf zum nächsten umso stärker unterscheiden, je stärker das Gravitationsfeld ist.
- Lense-Thirring-Effekt: Rotierende Massen ziehen die umgebende Raumzeit mit sich und versetzen sie dadurch selbst in eine Rotation. Diese führt dazu, dass Kreisel in solchen Gravitationsfeldern ihre Rotationsachse ändern.
- Gravitationslinseneffekt: Massen lenken Licht auf ähnliche Weise ab wie Sammellinsen. Dies führt zu beobachtbaren Bildverzerrungen und Mehrfachbildern. In extremen Fällen können Lichtstrahlen von der Rückseite ihrer Quellen zum Beobachtungspunkt gelangen.
- Gravitative Rotverschiebung und Zeitverzögerung: Lichtsignale, die Gravitationsfelder verlassen, erscheinen entfernten Beobachtenden rotverschoben. Ebenso gehen Uhren in stärkeren Gravitationsfeld langsamer als solche in schwächeren. Und von außen gesehen scheint Licht sich in einem stärkeren Gravitationsfeld langsamer auszubreiten (Shapiro-Effekt). Die lokal gemessene Lichtgeschwindigkeit bleibt trotzdem immer gleich.
- Gravitationswellen und Strahlungsrückwirkung: Laut ART strahlen zwei auf Ellipsen umeinander sich bewegende Körper Gravitationswellen ab. Dadurch verliert das System Energie, sodass die Bahnen schrumpfen und die Köper sich immer näher kommen. Das geschieht allerdings – bis auf die Ausnahme der Endphase in der Verschmelzung kompakter massereicher Objekte – sehr langsam.
Die Einsteinschen Feldgleichungen sagen aber auch Objekte voraus, die weit jenseits der menschlichen Vorstellungskraft liegen. Das sind insbesondere die Schwarzen Löcher, die sehr seltsame Eigenschaften besitzen. Die bekannteste davon ist, dass das Gravitationsfeld in ihrer Nähe so stark ist, dass selbst Licht aus einem Bereich des Schwarzen Lochs nicht mehr entkommen kann. Allerdings gibt es charakteristische Strahlung von Materie außerhalb und in der Nähe von Schwarzen Löchern, insbesondere von Akkretionsscheiben. Dies erlaubt seit 2019 die Beobachtung des „Schattens“ von Schwarzen Löchern durch weltweit zusammengeschaltete Radioteleskope (siehe Seite 61).
Fundameantale Entwicklungen In der Gravitationsphysik
- ca. 1590 Galileo Äquivalenzprinzip
- 1609–1619 Kepler Kepler-Gesetze der Planetenbewegung
- 1687 Newton Newtonsches Gravitationsgesetz
- Mitte 19. Jhd. Urbain Leverrier Beobachtung der Periheldrehung
- 1905 Einstein spezielle Relativitätstheorie
- 1915 Einstein allgemeine Relativitätstheorie
- 1919 Eddington Lichtablenkung
- 1960 Pound und Rebka gravitative Rotverschiebung
- 1965 Penzias und Wilson kosmische Hintergrundstrahlung (Nobelpreis)
- 1968 Shapiro gravitative Zeitverzögerung
- 1974 Hulse und Taylor Binärsytem Neutronenstern-Pulsar J1915+1606 (Nobelpreis)
- ab 1992 Genzel und Ghez Sterne um Sgr A* (Nobelpreis)
- 1998 Perlmutter, Riess, Schmid beschleunigte kosmische Expansion (Nobelpreis)
- 2003 Burgay Doppelpulsar PSR J0737-3039
- 2004 Ciufolini Lense-Thirring-Effekt
- 2012 Everitt Schiff-Effekt
- 2015 LIGO-Konsortium Gravitationswellen (Nobelpreis)
- 2019 EHT-Konsortium Schatten Schwarzer Löcher
Ein neues Fenster ins Universum
Schwarze Löcher zeigen sich auch in den erwähnten Gravitationswellen (siehe auch Seite 64). Diese Wellen der Raumzeit sind typischerweise sehr schwach, wurden aber 2015 zum ersten Mal direkt nachgewiesen (Nobelpreis 2017). Die Kollision von zwei Schwarzen Löchern regt die Raumzeit zu derart starken Schwingungen an, dass mittlerweile über 200 solcher Ereignisse durch Gravitationswellen beobachtet werden konnten. Auch andere Objekte und Vorgänge mit extremer Gravitation erzeugen Gravitationswellen – etwa Systeme von Neutronensternen, aber prinzipiell auch Supernovae oder die Expansion des Universums im Urknall. Die Gravitationswellenastronomie liefert also insbesondere Informationen über Vorgänge, die im elektromagnetischen Spektrum unsichtbar bleiben, wie den Verschmelzungsprozess Schwarzer Löcher.
Die ART ist gegenwärtig die bei Weitem genaueste und erfolgreichste Theorie der Gravitation, die wir kennen. Zugleich ist jeder Test der Relativitätstheorie auch der Versuch, die Physik jenseits der ART zu erkunden. Vieles deutet darauf hin, dass eine Kombination von ART und Quantentheorie weitere Überraschungen bereithält.
