WER?
Menschen haben sich seit jeher über physikalische Phänomene gewundert. Wer allerdings überhaupt Physik betreiben konnte, wer seine Gedanken, Beobachtungen und vielleicht auch Versuche anderen mitteilen oder diese schriftlich verewigen durfte, das wurde durch gesellschaftliche Umstände festgelegt. Es gab klar umrissene Rollenmodelle: der antike Philosoph, der Mönch im Mittelalter, das Akademiemitglied seit dem 17. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert schließlich gab es weltweit etwa hundert Physikprofessoren. Im 20. Jahrhundert wuchs die Zahl der Physiker stark, es stießen immer mehr Physikerinnen hinzu. Bisweilen wurde das Studium der Physik für bestimmte Gruppen gezielt politisch gefördert – wie etwa in der DDR für Kinder aus Arbeiterfamilien – und anderen verwehrt. Konflikte mit religiösen, weltanschaulichen und politischen Systemen hatten den Personenkreis im Lauf der Geschichte meist beschränkt und im Extremfall manchen Forscher, etwa in Stalins „Säuberungen“ der 1930er-Jahre, das Leben gekostet.
Auch die Frage, wer seine Einsichten öffentlich machen konnte – und zu welchem Zeitpunkt –, war reglementiert. Der italienische Gelehrte Galileo Galilei bekam das zu spüren, und auch Isaac Newton wartete freiwillig viele Jahre, bis er seine Principia veröffentlichte. Frauen als Physiktreibende mussten aber auch im 20. Jahrhundert Stellung und Stimme immer wieder neu erringen. So wird bis heute diskutiert, warum Lise Meitner bei der Vergabe des Nobelpreises nicht berücksichtigt wurde und welche Folgen dies hatte.
Zunehmend waren es nicht so sehr Einzelforscher wie noch Wilhelm Röntgen und Albert Einstein (wobei die Forschung bei beiden wichtige Zuarbeit anderer Personen identifiziert hat), sondern Forscherteams, die wesentliche Durchbrüche erreichten. Beispielsweise gelang der Nachweis des Higgs-Bosons am CERN in Zusammenarbeit von mehreren Tausend Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen.
Laura Bassi
Physikerin im 18. Jahrhundert Bis ins 20. Jahrhundert hinein war die systematische Beschäftigung mit Physik – wie mit anderen Wissenschaften – fast ausschließlich Männern vorbehalten. Eine der wenigen Ausnahmen war Laura Bassi (1711–1778), die in Bologna 1732 als lateinisch disputierendes Wunderkind den Doktortitel und eine Professur für Philosophie erhielt. Der Hermelinumhang, der auf ihrem Portrait zu erkennen ist, gehörte zur Amtstracht der Professoren. Die Zwanzigjährige nahm darüber hinaus Unterricht in Höherer Mathematik und beschäftigte sich mit physikalischen Experimenten, etwa zur Optik. Jahrzehntelang hielt sie – im 18. Jahrhundert eine übliche Praxis – in ihrem eigenen Wohnhaus Physikvorlesungen mit Experimenten. Auch forschte und publizierte sie in der Bologneser Akademie der Wissenschaften und vereinte dort als Erste Themen der Naturphilosophie wie die Elektrizitätslehre mit Forschungen zur Mechanik, die bis dahin den mathematischen Wissenschaften zugerechnet wurde. Gefördert von Papst Benedikt XIV. und von ihrem Ehemann unterstützt, wurde Bassi weit über Bologna hinaus zur Repräsentantin für weibliche Gelehrsamkeit und zugleich für die entstehende Disziplin Physik.
WIE?
Die wissenschaftliche Revolution begründete eine Methode der Naturforschung, die bis heute erfolgreich ist. Dieser Wandel im Denken vollzog sich über viele Jahrzehnte. Zuerst rückte das Experiment ins Zentrum – die Befragung der Natur. Der englische Philosoph Francis Bacon sprach gar davon, die Natur auf die Folter zu spannen. Experimentieren erschien nun als ein legitimer und Erfolg versprechender Weg, die Natur zu ergründen, und verdrängte die rein denkerischen, spekulativen Ansätze. Parallel wurde die Mathematik zu einem zentralen Arbeitsmittel der Physik und ist es bis heute geblieben.
Ein neuer Wettbewerb der Ideen zur Naturbeschreibung entstand und wurde vor allem in wissenschaftlichen Zeitschriften ausgetragen, die sich ab 1665 als neues Medium aus den Briefwechseln von Akademiesekretären und anderen gut vernetzten Naturforschern entwickelt hatten. Hier konnte prinzipiell jeder seine experimentellen Ergebnisse und theoretischen Überlegungen vorstellen, musste sich aber auch der Kritik anderer aussetzen. Damit wurde ein Ausleseprozess in die Naturwissenschaft eingeschrieben, Reproduzierbarkeit und Kontrollierbarkeit wurden etabliert. Bis heute definieren Zeitschriftenpublikationen, der Begutachtungsprozess durch die Fachgemeinschaft und die Rezeption unter den Kolleginnen und Kollegen, ob ein wissenschaftliches Resultat Gültigkeit hat. Diese Unabhängigkeit der neuzeitlichen Wissenschaft von allen anderen Instanzen erlaubte zugleich eine immer weitere Öffnung für Menschen unterschiedlicher gesellschaftlicher, sozialer und weltanschaulicher Herkunft.
WO?
Zu den Ressourcen, die die Physik erfordert, gehörten seit jeher Personal, Messinstrumente und Material sowie Gebäude, in denen geforscht und insbesondere experimentiert werden konnte. Manchmal musste man in aufwendigen Expeditionen erst dorthin gehen, wo sich physikalische Phänomene am deutlichsten zeigten.
Nicht weniger als die gesellschaftlichen Bedingungen haben daher auch die verfügbaren und erreichbaren Orte die Physik geprägt. Das Universitätslabor, wie wir es heute kennen, ist vergleichsweise jung. Zunächst hatten die Akademien im 17. Jahrhundert Instrumentenkabinette aufgebaut und ermöglichten ihren Mitgliedern, Versuche vorzuführen. Trotzdem blieb das eigene Zuhause lange der wichtigste Ort physikalischer Forschung. So war der Physiker und Chemiker Gustav Magnus für sein Privatlabor im heute nach ihm benannten Palais in Berlin berühmt, das viele Jahre als Tagungsort der DPG genutzt wurde. Seine Instrumentensammlung kam nach seinem Tod in die Berliner Universität. Damit entstand schließlich das Universitätsinstitut mit Laborplätzen, wie wir es heute kennen. Es wurde im 20. Jahrhundert durch Labore an Forschungsinstituten oder Großforschungseinrichtungen sowie in der Industrie ergänzt, in den vergangenen Jahrzehnten sogar durch Weltraumlabore. Die Entwicklung elektronischer Rechner machte den Einsatz von numerischen Methoden und Simulationen möglich. Neben den eigentlichen Laboratorien gehören deshalb heute auch Rechenzentren zu den Orten physikalischer Forschung. Vielfach sind aus diesen festen physischen Orten heute jederzeit und überall verfügbare „virtuelle Labore“ geworden.

WOMIT?
Viele physikalische Phänomene werden erst durch Instrumente erzeugt oder der näheren Untersuchung zugänglich. Bereits die Vakuumpumpe, das wichtigste Instrument der wissenschaftlichen Revolution, faszinierte auf dem Reichstag in Regensburg 1654 politische und geistliche Würdenträger. Die von dem Magdeburger Bürgermeister Otto von Guericke erfundene Luftpumpe steht am Anfang einer Linie der Vakuumphysik, die es erlaubte, physikalische Phänomene in Reinform zu erforschen, die Bausteine der Materie zu entdecken und Aufschluss über ihren Aufbau zu erhalten.
Als Forschungstechnologie ermöglichte sie Kathoden- und Kanalstrahlröhren oder Röntgenapparaturen bis zum Teilchenbeschleuniger. Die Versuche von James Franck und Gustav Hertz sowie Otto Stern und Walther Gerlach wären ohne Vakuumphysik nicht möglich gewesen.
Ähnliche Linien lassen sich für andere Instrumente und die daraus erwachsenen Forschungstechnologien ziehen, sei es für die seit dem 18. Jahrhundert verbreiteten Elektrisiermaschinen oder den im 20. Jahrhundert erfundenen Laser.
Sources for the History of Quantum Physics
Ein Wandel in der PhysikgeschichtsschreibungAls um 1960 in den USA erste Studienprogramme und Professuren für Wissenschaftsgeschichte entstanden, sahen einige Physiker und Physikhistoriker es als Aufgabe und geradezu als Verpflichtung, die vielleicht bedeutendste wissenschaftliche Entwicklung des 20. Jahrhunderts zu dokumentieren: die Quantentheorie. Thomas S. Kuhn, der zu dieser Zeit an einer später berühmt gewordenen Schrift über die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen arbeitete, wurde Leiter eines vierköpfigen Teams, das über 100 Wissenschaftler interviewte. Es sammelte eine große Menge an Quellenmaterial – Briefe, Notizbücher, Manuskripte – und sicherte sie auf Mikrofilm. Auch wenn Kuhns Hoffnung weitgehend enttäuscht wurde, im Gespräch mit den Akteuren ihre revolutionären Durchbrüche genau nachvollziehen zu können, hat das Projekt bleibende Bedeutung: Es etablierte das Interview als Methode der Wissenschaftsgeschichtsschreibung und die Erforschung der Zeitgeschichte wurde Teil der Physikgeschichtsschreibung.
Die Physikgeschichte arbeitete fortan nicht nur mit den Veröffentlichungen, also mit ihren fertigen Forschungsergebnissen, sondern interessierte sich auch für die vielschichtigen Entstehungszusammenhänge neuen Wissens. Als „science in the making“ oder „scientific practice“ entstand eine neue Art der Wissenschaftsgeschichtsschreibung, die den Blick auf die Geschichte der Physik bereichert hat.
WOZU?
Generalisierungen, dass „Wissensdurst“ oder die Frage, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, Menschen antrieb, sich mit Physik auseinanderzusetzen, lassen sich historisch kaum belegen. Vielmehr waren die Zwecke physikalischer Forschung vielfältig und situationsabhängig.
Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Als das erste Fernrohr 1609 Venedig erreichte, gelangte es sogleich in Galileis Hände. Er zerlegte und analysierte es, und es gelang ihm, ein Instrument mit einer wesentlich höheren Vergrößerung zu konstruieren. Doch bevor er damit den Mond, die Planeten und den Sternenhimmel betrachtete, präsentierte er es zunächst dem Senat Venedigs als Instrument, mit dem man feindliche Schiffe früher erkennen konnte. Auch Galileis Mechanik mit den Fallgesetzen und der Festigkeitslehre nahm vielfach Anleihe bei den Problemen der venezianischen Militäringenieure, die Schiffe und Kanonen konstruierten.
Häufig standen und stehen militärische Zwecke oder industrielle Anwendungen am Anfang physikalischer Forschung und gewährleisten nicht zuletzt deren Finanzierung. Die Verbindungen waren mal stärker und mal schwächer und reichen von unmittelbarer Auftragsforschung bis zur Stiftungsfinanzierung im Hintergrund. So firmierten die Institute des Vorläufers der Max-Planck-Gesellschaft als Kaiser-Wilhelm-Institute für Chemie oder Physik zwar unter staatlichem Titel, wurden aber hauptsächlich aus Industriegeldern finanziert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen in den USA die Gelder für Grundlagenforschung und insbesondere die Physik zu bis zu 90% vom amerikanischen Verteidigungsministerium. Das war nicht nur der Politik im Zeitalter des Kalten Kriegs geschuldet, die auf wissenschaftliche und technologische Führung setzte, sondern auch dem aktiven Lobbyismus von Physikern, die die politische Situation nutzten, um Forschungsmittel zu reklamieren. Generationen von theoretischen Physikerinnen und Physikern haben sich dank solcher Förderung seit 1958 auf NATO-Sommerschulen international vernetzt. Die Einführung von Zivilklauseln an vielen deutschen Universitäten seit den 1980er-Jahren spiegelt zugleich gesellschaftliche Vorbehalte gegen die Einflussnahme des sogenannten militärisch-industriellen Komplexes.
Eine Atombombe für Deutschland?
Die Frage nach den Zielen des deutschen Uranprojekts im „Dritten Reich“ ist wie kaum eine andere Frage der Physikgeschichte diskutiert worden. Robert Jungk verbreitete 1956 in Heller als Tausend Sonnen die für lange Zeit einflussreiche Sicht, die deutschen Physiker hätten nie eine Bombe bauen wollen und können. Die erst 1992 zugänglich gemachten Abhörprotokolle der deutschen Atomforscher, die ein Jahr lang auf dem englischen Landsitz Farm Hall interniert waren, brachten neue Erkenntnisse. Sie ließen aber auch viele Fragen offen, da die Tonbänder vernichtet worden waren und die Gespräche nur in Auszügen in englischer Übersetzung überliefert sind. Klar wird aber, dass die deutschen Atomforscher auf Anregung von Carl Friedrich von Weizsäcker bereits am 8. August 1945 in einem Memorandum bewusst eine Deutung ihrer Arbeit formulierten, die dieser so beschrieb: „Ich glaube es ist uns nicht gelungen, weil alle Physiker im Grunde gar nicht wollten, dass es gelang. Wenn wir es gewollt hätten, dass Deutschland den Krieg gewinnt, hätte es uns gelingen können.“ Mit der Etablierung dieser Lesart blieb das fachliche und persönliche Ansehen der deutschen Wissenschaftler gewahrt, und sie wurden in der nun durch den Kalten Krieg geteilten Welt rasch wieder Teil der internationalen Physikergemeinschaft des Westens.
Darum Physikgeschichte
Die Fragen nach dem Wer, Wie und Wo, nach dem Womit und Wozu der Physik – und natürlich auch nach ihren Inhalten – sind, seit es Physik gibt, gestellt worden. Die Erkenntnisinteressen haben sich dabei immer wieder geändert. Physikalische Lehrbücher der Frühen Neuzeit dokumentierten in ihrer Darstellung oft die Geschichte des jeweiligen Gebiets gleich mit – ein Ansatz, der als historisch-genetische Methode bis heute in der Didaktik bekannt ist. Das Nachvollziehen der Erkenntnisschritte in ihrer historischen Abfolge, so die Annahme, helfe beim Verstehen der physikalischen Phänomene und Konzepte. Mit der Spezialisierung der Physik entfiel die Geschichte der Physik aus den Lehrbüchern. Es gab nunmehr eigene Bücher zur Physikgeschichte, sei es für die Lehrerbildung und Didaktik oder aus Faszination für die physikalische Forschung etwa von Isaac Newton. Biografien wie die über Hermann von Helmholtz, die auch in einer kürzeren Volksausgabe erschien, vermittelten einer bürgerlichen Öffentlichkeit die Genialität einzelner Forschender und stilisierten Naturforschung als Teil einer gelehrten Kultur. Physikgeschichte war damit immer auch Lobbyarbeit für die Physik.
Mit der Etablierung der Wissenschaftsgeschichte als eigenes Fach erweiterten sich die Methoden. Beispielsweise wurde gemeinsam mit Physikerinnen und Physikern, die als Zeitzeugen auftraten, in mehreren Konferenzen zur Geschichte der Teilchenphysik ein Modell für eine partizipative Geschichtsschreibung erprobt.
Doch die Physikgeschichte widmet sich nicht nur den Stars der Physik. Sie fragt auch nach den unsichtbaren Helfern und Helferinnen (!) in der Forschung, nach der Rolle von Institutsmechanikern und Rechnerinnen. Sie untersucht, was es bedeutete, in der Groß- oder Industrieforschung zu arbeiten. Und das Interesse der Wissenschaftsgeschichte an der wissenschaftlichen Teilhabe von Frauen bot Physikerinnen schon früh Gelegenheit zur Reflexion und Identifikation.
Nicht zuletzt stellen historische Forschungen zur Verantwortung der Physik – ob während des Nationalsozialismus, im Kalten Krieg oder in heutigen Forschungskontexten – ein nicht immer bequemes, aber für die Fachgemeinschaft unverzichtbares Moment der Reflexion dar.