
Mit der Geburt der vermeintlich kontraintuitiven speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie sowie der Quantenmechanik im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts rückten interpretative Fragen ins Zentrum der Physik, und im Laufe des Jahrhunderts formte sich die Philosophie der Physik als eigenes Arbeitsgebiet heraus. Doch schon weit vorher zeigt sich, dass interpretative Fragen ein integraler Bestandteil der physikalischen Arbeit und der Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Physik sind. So diskutierten bereits Isaac Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz die Frage, was aus der Newtonschen Physik über das Wesen von Raum und Zeit folgt, wobei sie Fragestellungen und Begriffe entwickelten, die dann später auf die Interpretation der allgemeinen Relativitätstheorie angewendet wurden. Ernst Mach wiederum setzte sich mit dieser Debatte in seiner „historisch-kritischen“ Geschichte der klassischen Mechanik im Detail auseinander, und seine Darstellung hat wiederum Albert Einstein in der Entwicklung der allgemeinen Relativitätstheorie beeinflusst.
Heute sind „Philosophen der Physik“ zum großen Teil Wissenschaftler:innen, die sich aufbauend auf einer soliden Ausbildung in Physik häufig erst im Rahmen ihrer Doktorarbeit Interpretationsfragen explizit zugewandt haben und nunmehr an einem Institut für Philosophie arbeiten. Während die meisten Physiker:innen während ihres Studiums keine Philosophiekurse belegen, war das in der Generation von Albert Einstein, Niels Bohr und Max von Laue, sowie auch etwas später bei Werner Heisenberg und Wolfgang Pauli, noch anders: Philosophie gehörte damals zum Pflichtprogramm eines Physikstudiums. Und so wurden auch viele der großen interpretativen Debatten um Relativitätstheorie und Quantenmechanik von Physiker:innen und Philosoph:innen gemeinsam angestoßen.
Schrödingers Katze

Ein besonders zentrales Beispiel für ein solches interpretatives Problem ist das Messproblem in der Quantenmechanik, das Physiker:innen und Philosoph:innen auch heute noch in Atem hält. Es wird das erste Mal in einem Aufsatz von Erwin Schrödinger im Jahr 1935, also zehn Jahre nach der Geburt der Quantenmechanik, auf den Punkt gebracht und dort auch anhand des inzwischen unter dem Namen „Schrödingers Katze“ berühmt gewordenen Gedankenexperiments erläutert. Im Messproblem der Quantenmechanik geht es um die Frage, welche Bedeutung die Wellenfunktion hat, mit der sich Quantensysteme beschreiben lassen. Max Born hatte 1926 vorgeschlagen, die Wellenfunktion als Wahrscheinlichkeitsdichte zu interpretieren, die bestimmt, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich das System in einem bestimmten Zustand befindet. Das Problem entsteht nun dadurch, dass die Schrödingergleichung, die die zeitliche Fortentwicklung eines Quantensystems beschreibt, eine Wellengleichung ist.
Das heißt, wenn Welle 1 eine Lösung der Gleichung ist und auch Welle 2 eine Lösung der Gleichung ist, dann ist auch die Überlagerung der beiden Wellen, also (Welle 1 + Welle 2), eine Lösung. Für Wasserwellen ist uns das sehr vertraut; wenn aber die quantenmechanische Wellenfunktion wirklich eine Zustandswelle ist, so folgt hieraus, dass wenn Zustand 1 eine Möglichkeit ist, und auch Zustand 2 eine Möglichkeit ist, dann auch die Überlagerung aus diesen beiden Zuständen eine physikalische Möglichkeit sein muss.
In seinem Gedankenexperiment zeigte Schrödinger auf, welche Konsequenzen hiermit die Kopplung eines durch eine Wellenfunktion beschriebenen quantenmechanischen Systems (wie einer radioaktiven Substanz) und eines makroskopischen Systems (wie einer Katze) hat. Er beschrieb eine Situation, in der die Katze in einer Kiste eingeschlossen ist. Darin befinden sich außerdem eine radioaktive Substanz sowie ein Mechanismus, der im Falle eines Zerfallsereignisses ein Gift freisetzt, das die Katze tötet. Wann so ein Zerfallsereignis eines radioaktiven Elements stattfindet, lässt sich mit der Quantenmechanik in der Bornschen Interpretation nicht vorhersagen – man kann lediglich die Wahrscheinlichkeit angeben, mit der man dies erwartet, und diese ergibt sich laut Born aus dem Quadrat der Wellenfunktion.
Solange die Kiste geschlossen ist – also niemand die Situation beobachtet –, ist das Schicksal der Katze an den quantenmechanischen Zerfallsprozess gebunden. Dieser lässt sich beschreiben durch die Überlagerung von „Zerfall hat stattgefunden“ und „Zerfall hat nicht stattgefunden“. Dementsprechend lautet der daran angeschlossene Zustand der Katze „tot“ und „nicht tot“.
Das Messproblem nun besteht in der Feststellung, dass wir eine solche Überlagerung von Zuständen nie zu beobachten scheinen, sondern immer nur einen „reinen“ Zustand, also etwa eine lebendige oder eine tote Katze. Wie aber kann das sein, wenn die Quantenmechanik und Borns Interpretation der Wellenfunktion stimmen?
Diese Frage erzeugt also nun die unterschiedlichen Interpretationen der Quantenmechanik, die jeweils unterschiedliche Versuche darstellen, das Messproblem zu lösen. Die immer noch prominentesten Interpretationen sind (a) die unterschiedlichen Varianten der auf Bohr und Heisenberg zurückgehenden Kopenhagener Deutung; (b) sogenannte dynamische Kollapstheorien; (c) die Everett- oder Viele-Welteninterpretation sowie (d) die Bohmsche Interpretation der Quantenmechanik.
Was sind Raum und Zeit?
Andere Interpretationsfragen in der Physik sind bedeutend älter als die Quantenmechanik. Sie betreffen zum Beispiel den Status von Raum und Zeit. In seiner Principia hatte Isaac Newton 1686 den Begriff des absoluten Raumes und der absoluten Zeit eingeführt, um darauf aufbauend seine Mechanik und im Besonderen die Unterscheidung zwischen absoluter und scheinbarer Bewegung zu begründen. Laut Newton waren damit Raum und Zeit für sich existierende Entitäten, und der Raum im Besonderen war für die Materie eine Art Container. Gottfried Wilhelm Leibniz hingegen argumentierte, dass der Raum als solcher nur eine menschliche Abstraktion ist, und dass es in der Natur nur Relationen, also Beziehungen, zwischen materiellen Körpern gibt, inklusive der Relation, dass sich zwischen den Körpern ein bestimmter Abstand befindet. Damit war laut Newton ein Raum auch ohne Materie möglich, laut Leibniz aber nicht. Newtons Position wurde bald als Substanzialismus, die von Leibniz als Relationalismus bezeichnet.
Albert Einstein war bei der Entwicklung seiner allgemeinen Relativitätstheorie (ART), die sowohl eine neue Mechanik als auch eine neue Gravitationstheorie liefern sollte, stark durch die Ideen von Leibniz motiviert, über die er aus den Schriften von Ernst Mach lernte. Aber erst in den 1960er-Jahren wurde die Interpretation der ART vor dem Hintergrund der klassischen Debatte zwischen Newton und Leibniz gefasst. Die Frage war: Ist eine substanzialistische oder eine relationalistische Auffassung der in der Relativitätstheorie vereinheitlichten Raumzeit die überzeugendere Interpretation der Theorie? Sollte Einsteins Theorie so interpretiert werden, dass der Raumzeit für sich Existenz zugeschrieben wird und Materie nunmehr (über die Einsteinschen Feldgleichungen) in Wechselwirkung mit Materie steht, oder könnte man in der Tradition von Leibniz Materie weiterhin für primär halten? Die Debatte ist immer noch nicht abgeschlossen.
Was ist ein Schwarzes Loch?

Während die Diskussionen um das Messproblem in der Quantenmechanik sowie die Interpretation der ART bereits Jahrzehnte andauern, hat die philosophische Debatte zur Physik von Schwarzen Löchern gerade erst begonnen. In ihrem Kern handelt es sich um eine der typischsten Arten von Fragen in der Philosophie, nämlich „Was ist …?“: „Was ist ein Schwarzes Loch?” hat dieselbe Struktur wie „Was ist Wissen?“, „Was ist Wahrheit?“ oder auch „Was ist ein gutes Leben?“.
Mit solchen Fragen beschäftigt sich die Philosophie bereits seit dem Altertum. Um sie zu beantworten, sucht sie typischerweise nach Kriterien, die auf alle Fälle erfüllt sein müssen. Solch ein notwendiges Kriterium ist aber nicht immer hinreichend, um das Gesuchte zu definieren. Es hat in der Philosophie großes Aufsehen erregt, dass Schwarze Löcher sich bisher einer solchen Charakterisierung über notwendige und hinreichende Bedingungen zu entziehen scheinen oder dass zumindest unterschiedliche Teilbereiche der Physik unterschiedliche Arbeitsdefinitionen nutzen. Eine der gegenwärtig dynamischsten Bereiche der Philosophie der Physik ist zu untersuchen, wie genau diese unterschiedlichen Arbeitsdefinitionen miteinander zusammenhängen und sich aufeinander beziehen.
Ein aktuelles Projekt der Lichtenberg-Gruppe für Geschichte und Philosophie der Physik an der Universität Bonn untersucht die historische Genese des Begriffs „Schwarzes Loch“ in den 1950er- bis 1970er-Jahren gemeinsam mit einer Reihe der in dieser Zeit neu entwickelten mathematischen Methoden und Begriffe, wie etwa der eines Ereignishorizonts. Solchen neu entwickelten Begriffen stehen neu gefasste, ältere Begriffe zur Seite, wie etwa der einer Raumzeit-Singularität, der in den 1960er- und 1970er-Jahren im Vergleich zu seiner Bedeutung etwa bei Einstein ganz neu angegangen wird. Dabei ist das Ziel ein philosophisches bzw. konzeptuelles, nämlich das Bestreben zu verstehen, was Schwarze Löcher eigentlich sind. Die Herangehensweise hingegen ist eine historische und mathematische und stützt sich auf Manuskripte, Briefwechsel und Berechnungen der Physiker:innen, die auf diesem Gebiet Bahnbrechendes geleistet haben.