Die Physikdidaktik ist eine relativ junge Wissenschaft: Der Fachverband Didaktik innerhalb der DPG gründete sich 1973. Physikdidaktische Forschung beschäftigt sich – sehr allgemein gesprochen – mit den Inhalten, Bedingungen und Methoden für Bildungsprozesse zu physikalischen Inhalten. Solche Bildungsprozesse sind äußerst komplex: Das Lehren und Lernen ist eine soziale Interaktion mit einer Vielzahl von Aspekten, die ineinandergreifen. Die Physikdidaktik muss daher lernende und lehrende Personen, Lerngegenstände, Rahmenbedingungen und Lernangebote betrachten und Forschungsmethoden für ihre Wechselwirkungen entwickeln und anwenden.
Ein wichtiger Schwerpunkt der Forschung dabei ist, Inhalte auszuwählen und modernen, attraktiven und lernförderlichen Physikunterricht in der Schule methodisch zu gestalten. Dabei gilt es, das Interesse von Lernenden an naturwissenschaftlichen Themen zu fördern und sie in die Lage zu versetzen, auf Basis von fundierten grundlegenden Kenntnissen und Kompetenzen die Gesellschaft von morgen mitzugestalten. Die Physikdidaktik geht dabei über den schulischen Unterricht hinaus: Es gibt physikbezogenes Lernen auch im Kindergarten, in Universitäten und Hochschulen, in Science Centern, Museen und Ausstellungen, im Fernsehen, im Internet, in Büchern und an weitern Orten.
Hinweise auf erfolgreichen Physikunterricht
Jede Person, die Physik lernt oder lehrt, bringt ein eigenes Vorwissen, spezifische Interessen und ihre persönliche Einstellung mit. Wie man Lernen erlebt, ist deshalb sehr individuell. Die Bildungsforschung geht davon aus, dass Wissen individuell konstruiert werden muss (konstruktivistische Lerntheorie) und es darum weder die eine optimale Lösung noch den optimalen Weg oder die gleiche Erkenntnis gibt. Mit dem Ziel einer naturwissenschaftlichen Grundbildung (engl. scientific literacy) für alle muss physikdidaktische Forschung versuchen, dieser Diversität gerecht zu werden. So formulierte der österreichische Physiknobelpreisträger Wolfgang Pauli einmal: „Als Physiker kann man davon ausgehen, dass ein Elektron wie das andere ist, während Sozialwissenschaftler auf diesen Luxus verzichten müssen.“
Da es also darum geht, vor allem junge Menschen in ihrer individuellen Persönlichkeit zu fördern und sie bei der Begegnung mit der Physik zu begleiten und zu unterstützen, entwickelt die physikdidaktische Forschung mithilfe empirischer Untersuchungen theoretische Modelle, die es erlauben, diese komplexen Zusammenhänge zu beschreiben und zu reflektieren. Damit erhalten Lehrkräfte Hinweise darauf, wie sie ihren Unterricht erfolgreich gestalten können, ohne dass sich daraus aber einfache Faustregeln oder allgemeine Gültigkeiten ableiten lassen. Im einzelnen Fall kann Unterricht dennoch erfolglos sein, weil in dem komplexen sozialen Geflecht zwischen unterschiedlichen Personen und Rahmenbedingungen nie zwei Situationen komplett vergleichbar sind. Wichtig ist dann, mit den vorhandenen physikdidaktischen Begriffen und Theorien die Lernsituation analysieren und das Lernangebot verbessern zu können.
Physikdidaktik im deutschsprachigen Raum
In Deutschland gibt es 60 Professuren (inklusive Juniorprofessuren) in der Physikdidaktik. In der überwiegenden Mehrzahl verfügen die Institute über eine Professur, wenige haben zwei Professuren, einige arbeiten ohne Professur.
Seit den 1970er-Jahren wurden über 600 physikdidaktische Promotionen an den Standorten in Deutschland (Ost und West) abgeschlossen. Die thematische Ausrichtung und Entwicklung, die sich in diesen Dissertationen zeigt, wird zur Zeit in einem Forschungsprojekt der physikdidaktischen Gemeinschaft ausgewertet.
Vorgehensweise fachdidaktischer Forschung und Lehre
Forschende in der Physikdidaktik müssen sich also den Methoden der Sozialwissenschaften und der Psychologie sowie der Wissensbestände der Erziehungswissenschaften und der Bildungsforschung bedienen, um Lernsituationen in ihren vielen Facetten analysieren und konstruieren zu können. Gleichzeitig brauchen sie ebenso das Wissen ihres Fachs, um ganz spezifisch das Erlernen von physikalischen Inhalten und Kompetenzen in den Blick nehmen und beispielsweise Lernschwierigkeiten berücksichtigen zu können. Sie sind also Bildungsforschende mit spezifischem fachbezogenen Anliegen. Die Physikdidaktik stellt somit eine eigenständige, sehr komplexe und interdisziplinäre Forschungsdisziplin dar.
Fachdidaktische Forschung muss dabei bestimmten Gütekriterien standhalten, wie beispielsweise der Objektivität, Verlässlichkeit und Gültigkeit. Sie analysiert die Ausprägungen von veränderlichen Größen, deren wechselseitige Einflüsse aufeinander und ihre Konsequenzen beispielsweise für den Lernerfolg. Sie zieht außerdem theoretische Konzepte zur Modellbildung heran.
In diesem Sinne gibt es Ähnlichkeiten zur fachphysikalischen Forschung. Gleichzeitig sind die Forschungssituationen aber auch grundlegend verschieden, wie das zuvor genannte Zitat von Pauli andeutet. So sind die Kontrolle von veränderlichen Größen, die Vergleichbarkeit der Messgrößen und die Übertragbarkeit von Ergebnissen weitaus komplizierter, wenn man es mit (unterschiedlichen) Menschen, Schulklassen, Schulen, Bundesländern und Nationen zu tun hat.
Ziel der physikdidaktischen Ausbildung ist die Fähigkeit, physikbezogene Lernangebote zielgruppengerecht zu planen, zu gestalten und zu reflektieren. Die physikdidaktische Lehre muss dafür einerseits die erforderlichen Kompetenzen bereitstellen, andererseits aber auch die notwendige Flexibilität fördern, um auf wechselnde Bedingungen angemessen reagieren zu können. Dazu gehören beispielsweise Kenntnisse über typische Vorstellungen von Lernenden, bewährte und innovative Unterrichtskonzeptionen, Rückführung auf relevante Teilaspekte und wesentliche Fachmethoden (z. B. Experimente und Modelle). Auch Kenntnisse über Verfahren zur Diagnostik, Beurteilung und Rückmeldung zu Lernleistungen sowie zur adaptiven und differenzierenden Gestaltung physikbezogener Lehrangebote werden gebraucht.
Dabei liegt der Fokus der universitären Lehre, also der ersten Ausbildungsphase, stärker auf der Analyse und Reflexion von Lernangeboten und Lernprozessen. Die schulpraktische Lehrerbildung in der zweiten Ausbildungsphase hingegen befasst sich stärker mit der Planung und Durchführung der Lehrangebote. In Zeiten schneller gesellschaftlicher und technischer Veränderungen und dem drängenden Lehrkräftemangel bekommen Lehrkräftefortbildungen (3. Ausbildungsphase) eine immer größere Bedeutung.Bereits heute erfordert der Schulalltag eine dynamische Anpassungsfähigkeit. Wie (Physik-)Unterricht in zehn oder zwanzig Jahren aussehen wird und vor welchen Herausforderungen Lehrkräfte dann stehen werden, ist noch offen.
Herausforderungen der Zukunft
Ein Physikunterricht, der einen relevanten Beitrag für eine Welt von morgen leisten soll, braucht teilweise andere Inhalte als bisher und muss andere Fähigkeiten vermitteln. Beispielsweise ist die Physik des Klimawandels ein verhältnismäßig neues Thema im Physikunterricht, und auch Aspekte der Energieversorgung müssen mit Zukunftsperspektive unterrichtet werden. Außerdem ist stärker zu erforschen, wie nicht nur die leistungsstarken Lernenden, sondern alle eine ausreichende naturwissenschaftliche Grundbildung erwerben können, und wie der Physikunterricht einer zunehmenden Diversität der Lernenden gerecht werden kann. Dabei ist auch zu untersuchen, wie der Physikunterricht zur Medien- und Technologiekompetenz bei der Digitalisierung beitragen kann. Der Lehrkräftemangel und die Einstellung von Quer- und Seiteneinsteiger:innen erfordern zudem ein regelmäßiges Überdenken der Lehrkräfteaus- und -fortbildung. Schließlich muss auch erforscht werden, wie effektive Fortbildungen zu neuen Inhalten und Fähigkeiten aussehen können.