WIRKUNG
Die Erde im Blick

Regen, Schnee und Unsicherheit

Seit Jahrtausenden sind Menschen fasziniert von den sich ständig ändernden, ästhetischen und manchmal bedrohlichen Formen von Wolken, die im Mittel rund 70% der Erdoberfläche bedecken. Bis heute ist ihre Vorhersage in Wetter- und Klimamodellen schwierig, obwohl dies für die Prognose von Extremniederschlägen und Rückkopplungen mit der Klimaerwärmung essenziell ist.

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Anfang des 19. Jahrhunderts erfand ein Apotheker die Wolkenkunde: Der Amateurmeteorologe Luke Howard teilte Wolken erstmals anhand ihrer phänomenologischen Eigen­schaften in die Familien Cirrus (Federwolken), Stratus (Schichtwolken) und Cumulus (Haufenwolken) ein. Diese Einteilung dient bis heute der Beschreibung von Wolken, verfeinert durch zahlreiche Gattungen, Arten und Sonderformen im Internationalen Wolkenatlas der World Meteorological Organization (WMO).

Wichtiger als diese Einteilung nach Aussehen und Höhe sind allerdings die physikalischen Eigenschaften von Wolken: ihre Zusammensetzung aus Wassertröpfchen und Eispartikeln, die dynamischen Luftströmungen in den Wolken und ihrer Umgebung und die Absorption und Reflexion von Strahlung verschiedener Wellenlängen.

Von Nanometern bis zu Tausenden von Kilometern

Wolkenphysik geschieht auf räumlichen Skalen von bis zu 15 Größenordnungen, die miteinander verknüpft sind.

Tröpfchen und Eiskristalle werden zusammenfassend als Hydrometeore bezeichnet – ein Wort, das sich aus den altgriechischen Wörtern für „Wasser“ und „in der Luft schwebend“ zusammensetzt. Diese Hydrometeore bilden sich in der Atmosphäre nur unter der Mitwirkung von kleinsten Aerosolpartikeln, an die die Wasserteilchen sich anheften können. Diese Aerosole kommen aus natürlichen oder aus menschengemachten Quellen, zum Beispiel aus Meersalz oder Schwefel und Ruß, die bei industriellen Verbrennungsprozessen entstehen. Eine weitere Voraussetzung für das Entstehen von Wolken sind die großräumigen Wetterbedingungen und Luftströmungen in Hoch- und Tiefdruckgebieten sowie das Aufheizen der Landoberfläche und die daraus folgende Konvektion. Niederschlag – also Regen, Hagel oder Schnee – entsteht durch gegenseitige Kollisionen von Hydrometeoren und deren Anwachsen durch die Kondensation von Wasserdampf.

Doch Wolken sind nicht nur für den Niederschlag wichtig. Sie reflektieren auch fast ein Viertel der auf die Erde eintreffenden Sonnenstrahlung und spielen damit eine wichtige Rolle für den Energiehaushalt der Erde. Ändern sich die mittleren optischen Eigenschaften von Hydrometeoren, so kann das große Auswirkungen haben. Will man Wolken rundum verstehen, so muss man also sowohl die einzelnen Hydrometeore als auch die gesamte Wolke in den Blick nehmen. Diese räumlichen Skalen erstrecken sich über fast 15 Größenordnungen und sind die größte Herausforderung für das Verständnis der Prozesse in Wolken und ihrer Vorhersage.

Seit der Industrialisierung hat die Konzentration von Aerosolen in der Atmosphäre deutlich zugenommen, mit vermutlich spürbaren, aber noch nicht abschließend verstandenen Einflüssen auf Wolken. Sind mehr Aerosole vorhanden, können sich grundsätzlich mehr und kleinere Wolkentröpfchen bilden. Das sieht man deutlich, wenn man die Wolken in den Abluftfahnen von Schiffen mit einer sauberen Umgebung vergleicht. Kleinere, zahlreichere Wolkentröpfchen streuen mehr Sonnenlicht als wenige große, und Kollisionen sind weniger wahrscheinlich. Das spricht zwar dafür, dass sich die Niederschlagsbildung verlangsamt, die Strömung und Rückkopplungen in Wolken können die erwarteten Effekte jedoch dämpfen. In Wolken, die sich in Temperaturbereiche unterhalb von 0 °C erstrecken – und das sind bei Weitem die meisten Wolken –, ist die Situation durch die Eisbildung allerdings deutlich komplizierter: Sowohl eine Zu- als auch eine Abnahme der Rückstreuung und der Niederschlagsbildung sind durch den Einfluss menschengemachter Aerosolpartikel denkbar.

Dies erschwert die Prognose, wie sich der Effekt von Aerosolen auf Wolken im Zuge der globalen Erwärmung weiter entwickelt. Auch Vorschläge, durch gezielte Aerosolinjektionen in das Klima (Climate Intervention, siehe auch „Kein Ersatz für Klimaschutz“ auf Seite 271) oder das regionale Wetter einzugreifen, können nicht richtig bewertet werden, solange die Prozesse in Wolken nicht ausreichend verstanden sind. Neue Studien versuchen, bessere Abschätzungen dieser Effekte aus der Beobachtung von „unbeabsichtigen“ Experimenten in natürlicher Umgebung zu gewinnen – dazu gehören etwa Vulkanausbrüche oder die Änderung von Schiffsabgasen nach der Herabsetzung des Grenzwerts für Schwefelgehalte im Schiffsdiesel.

Entstehung von Eis in Wolken

Eisbildung in Wolken ist der Ursprung für den Großteil des globalen Niederschlags, und auch Ladungstrennung und Entladung durch Blitze (ein anderer noch nur unzureichend verstandener Prozess) ist nur durch Interaktionen von Eispartikeln mit Wassertropfen möglich. Wolkentröpfchen, die einige Mikrometer groß sind, gefrieren in der Atmosphäre nicht bei 0 °C, sondern können bis zu Temperaturen von etwa −38 °C flüssig bleiben, solange kein passender Aerosolpartikel in den Tröpfchen oder ein Eiskristall durch Kollision das Gefrieren auslöst. Solche Aerosole (Eiskeime genannt) sind sehr selten, denn nur wenige haben an ihrer Oberfläche Strukturen, die dem Kristallgitter von Eis ähnlich genug sind, um die Kristallisation des Wassers zu vereinfachen. Erst bei tiefen Temperaturen, zum Beispiel in Cirruswolken in der oberen Atmosphäre, gefrieren die Tröpfchen auch ohne Keim. Wie genau Aerosole die Eisbildung bestimmen, wird mit Simulationen, Labor- und Feldmessungen und daraus abgeleiteten Beschreibungen für Wetter- und Klimamodelle untersucht.

Oft lässt sich beobachten, dass die Anzahl der Eispartikel in Wolken die Anzahl der Eiskeime um mehrere Größenordnungen übersteigt – eines der größten Rätsel der Wolkenphysik. Möglicherweise platzen die Tröpfchen während des Gefrierens auf und erzeugen so weitere Kristallisationskeime. Eine andere Erklärung ist, dass die Eispartikel miteinander kollidieren und dabei zerbrechen.

Sobald sich die ersten Eispartikel in einer Umgebung von vielen unterkühlten flüssigen Tröpfchen gebildet haben, können diese schnell anwachsen und als Schnee, Graupel oder Hagel aus der Wolke herausfallen. In vielen Fällen schmelzen sie vor dem Auftreffen auf dem Erdboden wieder und erreichen den Boden als Regen.

Primäre und sekundäre Eisbildung.

Beobachtungen, Experimente und Modelle

Eine große Herausforderung bei der Vermessung von Wolken in der Atmosphäre ist, dass die Randbedingungen und Historie nicht kontrolliert werden können. Somit sind zwei Messungen niemals direkt vergleichbar wie es etwa Labormessungen sein könnten. Bei Probennahmen per Flugzeug, Drohne oder Sonde kommt außerdem oft hinzu, dass die Messung nur ein sehr kleines Volumen der Wolken abdecken kann. Außerdem beeinflusst diese möglicherweise selbst die Wolken – so können Eispartikel am Einlass der Messinstrumente zerbrechen. Große Anstrengungen in der Entwicklung von Messtechniken zielen darauf ab, diese Einflüsse zu minimieren. Gleichzeitig werden Methoden der Fernerkundung vom Boden (Radar, Lidar) und vom Satelliten fortlaufend verbessert. Mit der im Mai 2024 gestarteten EarthCARE-Mission (Earth Clouds, Aerosols and Radiation Explorer) der ESA werden durch neue Radar- und Lidarmessungen aus dem All neue Daten erwartet, die Aufschluss über viele Details in großer Genauigkeit und mit guter globaler Abdeckung ermöglichen wird. Da Satelliten sehr große Datenmengen sammeln, helfen neu entwickelte Methoden des maschinellen Lernens bei der Auswertung und Interpretation.

Für Prozesse auf den kleinsten Skalen sind Laborexperimente unter kontrollierten, manipulierbaren Bedingungen unabdingbar. Diese reichen von Nukleationsexperimenten unter Mikroskopen über Einzeltropfenexperimente bis hin zu Windkanälen und Kammersimulationen, in denen sich die Bildung und Entwicklung von Wolken in Miniatur vermessen lassen. Gezielte Experimente sollen helfen, noch unverstandene Prozesse wie Eismultiplikation und den Einfluss von Turbulenz zu verstehen.

Lange waren einzelne Wolken in Wetter- und Klimamodellen deutlich kleiner als die Gitterweite, also als das „Kästchen“ auf der Landkarte, für das die Parameter einzeln berechnet werden. In diesen Modellen konnten die Prozesse in Wolken also nicht im Detail ausgewertet, sondern nur mithilfe von gemittelten Eigenschaften beschrieben („parametrisiert“) werden. Durch neue Hochleistungsrechnerarchitekturen und Softwareentwicklungen werden die Auflösungen von atmosphärischen Modellen immer besser: Sie betragen bis zu einem Kilometer und nähern sich damit den Skalen der Grobstrukturen von Wolken an. Somit lösen neueste Modelle einen Teil der relevanten Prozesse (Auf- und Abwinde in Wolken) nun explizit auf – einen anderen Teil, wie die einzelnen Hydrometeore und ihre Wechselwirkungen, aber nicht. Wie diese Modelle Wolken am besten erfassen können und wie sie mithilfe von künstlicher Intelligenz weiter beschleunigt werden können, ist Gegenstand aktueller Forschung.

Corinna Hoose, Thomas Leisner und Ulrike Lohmann