Das Organ, welches das menschliche Hören ermöglicht, ist das Ohr – bestehend aus dem Außenohr, dem Mittelohr und dem Innenohr. Der Schall wird durch das Außenohr aufgefangen, versetzt das Trommelfell und die Gehörknöchelchen im Mittelohr in Schwingungen und wird in der Hörschnecke oder Cochlea im Innenohr in seine unterschiedlichen Frequenzen aufgeteilt. Hier entstehen außerdem die elektrischen Reize, die den Hörnerv stimulieren. Durch den Vergleich der von beiden Ohren erhaltenen Signale (binaurales Hören) kann das Gehirn die Schallquelle sehr genau lokalisieren und Nebengeräusche unterdrücken. Dadurch kann man zum Beispiel Sprache auch bei starken Störgeräuschen noch verstehen.
Was wir heute über das menschliche Hören wissen, beruht oft auf physikalischen Untersuchungen. Bereits der Physiker Hermann von Helmholtz hat im 19. Jahrhundert grundlegende Studien über die Hörwahrnehmung durchgeführt. Etwa hundert Jahre später (1961) erhielt der ungarische Physiker und Hörforscher Georg von Békésy den Medizinnobelpreis für die Erklärung zur spektralen Zerlegung des Schalls in der Cochlea. Ein weiterer Meilenstein war die Entdeckung des englischen Physikers David Kemp, dass auch die Cochlea selbst akustische Signale aussenden kann. Diese sind ein Nebenprodukt von nichtlinearen, aktiven Verstärkerprozessen, die verantwortlich für den großen Arbeitsbereich und die Präzision unseres Gehörs sind.
Hörstörungen
Die klinische Audiologie beschäftigt sich vor allem mit der Diagnostik und Therapie von Hörstörungen. Hier arbeiten Medizinphysiker:innen mit Ärzt:innen Hand in Hand. Mithilfe von zahlreichen akustischen und elektrischen Signalen wird die individuelle Hörverarbeitung untersucht. Dies reicht von der Bestimmung der frequenzabhängigen Hörbeeinträchtigung und des individuellen Lautheitsempfindens über die Quantifizierung von Verarbeitungszeiten bis hin zur Messung der neuronalen Verarbeitung. Für letzteres werden insbesondere nichtinvasive Messungen mithilfe von Oberflächenelektroden eingesetzt. Eine große Herausforderung hierbei ist es, durch physikalische Messungen die frequenzabhängige Hörschwelle von Säuglingen genau zu bestimmen, um schon früh mögliche Probleme zu erkennen und zu behandeln.
Eine weitere Methode ist die Analyse des vom Ohr ausgesandten Schalls: Diese otoakustischen Emissionen lassen sich sehr effizient in der Hördiagnostik nutzen – etwa beim Neugeborenenhörscreening oder zur sehr präzisen Analyse der cochleären Verstärkerprozesse.
Können die Ursachen einer Hörstörung nicht beseitigt werden, so werden technische Hörhilfen (Hörgeräte) genutzt, um das Hören zu unterstützen. Elektroakustische Verstärkungssysteme sollen den Schall so aufbereiten, dass mit dem gestörten Hörsinn eine akustische Informationsaufnahme und somit das Alltagshören möglich ist. Dazu ist nicht nur die frequenzabhängige Verstärkung, sondern auch eine individuelle Einstellung der Schallverarbeitung erforderlich. Solche Hörgeräte sind aus dem Alltag von höreingeschränkten Personen heute nicht mehr wegzudenken. Aktuelle Forschungsarbeiten versuchen, die akustische Verstärkung in Hörgeräten zu optimieren und direkt das Trommelfell vibratorisch anzuregen. Durch die verbesserte Kopplung zwischen Hörgerät und Hörmechanik im Ohr soll damit ein stabileres Hören erreicht werden. Andere Arbeiten beschäftigen sich mit der Interaktion der Hörgeräte mit dem Ziel, dass auch das binaurale Hören wiederhergestellt wird. Hierzu wird nicht nur an der Technologie geforscht, sondern auch an den grundlegenden Mechanismen des Hörens mit zwei Ohren.
Cochlea-Implantate
Manchmal liegt die Ursache für die Hörstörung im Innenohr: Dann sind die Haarzellen in der Cochlea, die normalerweise den Hörnerv stimulieren, nicht mehr vorhanden oder stark reduziert – indem sie etwa durch zu große Lautstärkepegel abgebrochen sind. Cochlea-Implantate (CI) ersetzen die Haarzellen in ihrer Funktion der Umwandlung akustischer in elektrische Energie, die dann als Nervenpulse zum Hörzentrum im Gehirn weitergeleitet werden. Mindestens zwölf Elektroden, die in die Cochlea eingeführt werden, stimulieren den Hörnerv direkt mit elektrischen Pulsen. Bei geeigneter individueller Einstellung der Geräte erreichen die meisten Menschen ein gutes Alltagshören – sogar ertaubte Menschen können von der Technologie profitieren. Erstmals wurden die Cochlea-Implantate 1978 am Menschen erprobt und seitdem technisch so weiterentwickelt, dass sie heute bei hochgradigen Hörstörungen ein besseres Hören als schallverstärkende Hörsysteme ermöglichen. In der audiologischen Diagnostik wird bestimmt, wie groß die Wahrscheinlichkeit für eine Hörverbesserung durch eine CI-Versorgung ist.
CI-Systeme können allerdings deutlich weniger Frequenzen unterscheiden als das menschliche Ohr: Weil sich die elektrischen Felder räumlich ausbreiten, werden nicht Einzelfasern des Hörnervs, sondern ganze Nervenbündel angeregt. Die spektrale Auflösung zu verbessern, ist ein zentrales Anliegen der Forschung in diesem Bereich. Eine Möglichkeit ist, den Hörnerv mit Licht statt mit elektrischen Pulsen anzuregen. Dazu müssen zunächst lichtempfindliche Zellen in die Cochlea gebracht werden. Anschließend wird eine Kette kleiner Leuchtdioden (LEDs) implantiert. Das CI-System nimmt Schall auf und kodiert diesen in Lichtpulse, die über die LED-Kette schließlich den Hörnerv erreichen. Durch die optische Anregung lässt sich eine weitaus präzisere Stimulation erreichen und somit die Frequenzselektivität verbessern – die Patient:innen können mehr verschiedene Tonhöhen wahrnehmen und unterscheiden. Aktuell sind diese Systeme in der Erforschung und Erprobung in Tierexperimenten; bis zur Erprobung am Menschen dürfte es noch einige Jahre dauern. Bis heute sind bei Weitem nicht alle Prozesse des Hörvorgangs verstanden. So ist zum Beispiel die Dekodierung von akustisch dargebotener Sprache in informationstragende Einheiten wie Silben, Wörter und Sätze ein sehr stabiler Prozess mit zahlreichen Korrekturmechanismen, der auch in sehr ungünstigen Situationen mit starkem Geräuschhintergrund funktioniert. Erkenntnisse hierzu könnten ebenfalls dazu genutzt werden, Hörstörungen zu therapieren.
