Im Alltagsverständnis ist Zeit eine Abfolge von physikalischen Zuständen, während der Raum den unveränderlichen Bezugsrahmen dafür zur Verfügung stellt. Dieses Verständnis lag lange den physikalischen Theorien über die Natur zugrunde. So beschreibt beispielsweise die klassische Mechanik, wie sich Objekte unter dem Einfluss von Kräften mit der Zeit durch den Raum bewegen. Mit absolut gedachten Raum- und Zeitbegriffen formulierte Isaac Newton daher seine drei Axiome: das Trägheitsgesetz, das Bewegungsgesetz und das Gesetz von der Gleichheit von Kraft und Gegenkraft.
Die frühere Idee einer absoluten Zeit hatte eine charmante Eigenschaft: Betrachtet man die gleiche Bewegung von unterschiedlichen Orten aus – geht man also beispielsweise einen Schritt zur Seite –, so ändert das nichts an den physikalischen Bewegungsgesetzen: Ein Objekt bewegt sich ohne äußeres Zutun geradeaus und mit konstanter Geschwindigkeit, egal, von wo aus man es beobachtet. Die Trägheitsbewegung bleibt also geradlinig-gleichförmig für bestimmte Änderungen des Raum-Zeit-Rahmens. Zu diesen sogenannten Galilei-Transformationen gehören Verschiebungen des räumlichen und zeitlichen Nullpunkts, räumliche Verschiebungen mit konstanter Geschwindigkeit und räumliche Verdrehungen (nicht aber der Drehvorgang selbst). In den einzelnen Bezugssystemen, den Intertialsystemen, gelten dann weiterhin die Bewegungsgesetze.
Diese (axiomatisch festgelegte) Unveränderlichkeit der klassischen Mechanik unter Galilei-Transformationen hat zur Folge, dass Geschwindigkeiten addiert werden können: Rennt eine Person von hinten nach vorne durch einen fahrenden Zug, so bewegt sie sich für außenstehenden Beobachtende mit einer Gesamtgeschwindigkeit fort, die sich aus denen des Rennens und des Fahrens durch Addition zusammensetzt.
Das Konzept stößt allerdings an Grenzen: Würde die Person im Zug nicht rennen, sondern einen Laserpuls losschicken, so würde dieser sich nicht etwa mit Lichtgeschwindigkeit plus Zuggeschwindigkeit fortbewegen. Denn mit James Clerk Maxwells Zusammenfassung und Vervollständigung der Elektrodynamik wurde offenbar, dass die Lichtgeschwindigkeit absolut ist – nichts ist schneller als das Licht, seine Geschwindigkeit lässt sich nicht addieren.
Der Pfeil der Zeit
Bei Weitem die meisten mikrophysikalischen Gesetze ändern sich nicht, wenn die Zeitrichtung umgekehrt wird. Dennoch beobachten wir Ereignisse, die in einer, aber nicht in der entgegengesetzten Zeitrichtung ablaufen können. Diese Zeitrichtung tritt auf, wenn physikalische Systeme, die aus sehr vielen Teilen zusammengesetzt sind, von unwahrscheinlicheren in wahrscheinlichere Zustände übergehen. Die zugehörige physikalische Größe ist die Entropie, die durch spontane Zustandsänderungen abgeschlossener Systeme mit der Zeit nicht abnehmen kann (siehe Seite 30). Eine Zeitrichtung wird auch durch die Wellenausbreitung definiert (Kugelwellen laufen nur nach außen und, obwohl mathematisch möglich, nie nach innen) sowie durch den irreversiblen Messprozess in der Quantenmechanik.
Wandlung des Raum- und Zeitbegriffs
Diesen Widerspruch zwischen klassischer Mechanik und Elektrodynamik löste Albert Einstein in der speziellen Relativitätstheorie dadurch auf, dass er die Galilei-Transformationen durch die Poincaré-Transformation ersetzte. Sie transformiert Raum und Zeit als Raumzeit, wodurch beide ihre Absolutheit verlieren. Die spezielle Relativitätstheorie behält das Konzept der Inertialsysteme bei, verändert aber deren Transformationsgesetz. Im Gegensatz hierzu ersetzt die allgemeine Relativitätstheorie inertiale (also ruhende oder sich gleichförmig bewegende) durch frei fallende Bezugssysteme. Dadurch wird die Schwerkraft zu einer Eigenschaft der Raumzeit. Die Anwesenheit von Materie und Energie verändert ihre Geometrie. Dieses relativistische Raumzeit-Konzept liegt allen modernen Theorien der Physik zugrunde und ist doch im Alltag ziemlich unintuitiv. So erlaubt die Mathematik der allgemeine Relativitätstheorie im Prinzip Zeitreisen, d. h. Reisen in die eigene Vergangenheit. Das ist allerdings nur unter extremsten Bedingungen möglich, wie bei sehr hohen Energien oder kosmologischen Zeitskalen, was es sehr unwahrscheinlich macht, dass dies jemals realisiert werden könnte.


Messung von Zeit und Länge
Die Frage, wie sich Raum und Zeit möglichst genau messen lassen, ist für die Physik von größter Relevanz. Tatsächlich ist die physikalische Zeit unabhängig vom Menschen gegeben, und zwar durch bestimmte Phänomene oder zu konstruierende Apparate, die periodische Abläufe zeigen. Historisch gesehen ist die Rotation der Erde um ihre eigene Achse, die den Tag festlegt, eine erste Definition der Zeit. Später kamen menschengemachte Apparate wie die Wasser- und Sanduhren oder mechanische Uhren hinzu. Seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind die Quartzuhren die gebräuchlichen Zeitmesser im Alltag. Schließlich nutzen wir heutzutage Atomuhren mit einer ungeheuren Genauigkeit: Eine solche Uhr, die mit dem Urknall begonnen hätte, die Zeit aufzuzeichnen, würde heute höchstens eine halbe Sekunde falsch gehen! Im Falle der Newtonschen absoluten Zeit genügt das, um eine Zeit für das ganze Universum festzulegen: Wir definieren solch eine Uhr als Master-Uhr, bauen Duplikate und bringen diese überall hin. Damit haben wir die Zeit z. B. auf der Erde oder im Sonnensystem eindeutig festgelegt. Die Ortskoordinate kann man dann mit einem Urmeter einführen. Heute ist der Meter aufgrund der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit über eine Zeitmessung festgelegt (Seite 209). Allerdings findet die Genauigkeit der Bestimmung des Meters ihre Grenze in der Unbestimmtheit der Quantenmechanik.
In der relativistischen Physik werden Orts- und Zeitmessung schwieriger: An einer bewegten Uhr wird eine Zeit abgelesen, die gegenüber einer ruhenden Uhr verlangsamt ist; ebenso an einer Uhr, die in einem stärkeren Gravitationsfeld als eine Vergleichsuhr steht. Transportiert man zwei identische Uhren auf unterschiedlichen Wegen durch ein Gravitationsfeld vom Start zum Ziel, zeigen diese am Ziel unterschiedliche Zeiten an.
Diese Phänomene werden offenbar, wenn man eine Uhr mithilfe von Lichtstrahlen und frei fallenden Teilchen (z. B. realisiert durch optische Resonatoren) konstruiert. Sie zeigen eine geometrische Zeit an. Die Änderung des Gravitationsfelds bei unterschiedlichen Höhen von wenigen Zentimetern reicht aus, um bei den heutigen Atomuhren unterschiedliche Taktdauern zu beobachten!
Will man präzise Zeitmessungen vergleichen, so muss man zunächst die beteiligten Uhren synchronisieren, d. h. beim Vergleich der Zeiten zwischen zwei Uhren alle Zeitdilatationseffekte, Rotverschiebungen und Rotationseffekte per Konstruktion oder Rechnung eliminieren. Das kann mittels Einstein-Synchronisation, Synchronisation mit Pulsaren, mit Uhren auf Satelliten oder der ISS geschehen. In nicht zu starken Gravitationsfeldern wie im Sonnensystem kann man diese Verfahren anwenden. Dies hat große Relevanz für die Internationale Atomzeit, Navigationssysteme auf der Erde und in der Raumfahrt, für die Geodäsie und für astronomische Beobachtungen.