WIRKUNG
Quantenwelt

Modellsysteme für die Quantenwelt

Das Zusammenspiel vieler quantenmechanischer Teilchen bringt erstaunliche Phänomene hervor, die jenseits unserer alltäglichen Intuition liegen. Quantensimulationen erlauben es, diese schwer fassbare Welt zu erkunden.

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Die Quantenwelt ist seltsam, paradox und faszinierend zugleich. Sie stellt uns vor Rätsel, die mit konventionellen klassischen Berechnungen nicht mehr zu lösen sind. Grund hierfür ist die Komplexität von Quantensystemen, insbesondere wenn viele quantenmechanische Teilchen zusammenwirken. Möchte man einen quantenmechanischen Zustand vieler Teilchen mithilfe klassischer Methoden exakt beschreiben, so steigt die Anzahl der Parameter, die dafür benötigt werden, exponentiell mit der Anzahl der Teilchen an. Benötigt man also für zwei Teilchen vier Parameter, so wären es bei drei Teilchen schon acht Parameter, für zehn Teilchen bereits 1024 und für nur 30 Teilchen über eine Milliarde. Klassische Rechner stoßen hier schnell an fundamentale Grenzen und das selbst beim Einsatz von Supercomputern. Demnach lässt sich eine Vielzahl an physikalischen Fragen in der Welt quantenmechanischer Teilchen einfach nicht beantworten.

Quantensimulationen ermöglichen, in die Tiefen der Quantenwelt einzutauchen und deren Geheimnisse zu entschlüsseln. Hierbei versuchen Forschende nicht, komplexe Quantensysteme auszurechnen, sondern bilden sie in einer kontrollierten Laborumgebung nach. Die Idee hierbei ist es, die Eigenschaften einzelner quantenmechanischer Teilchen gezielt zu kontrollieren und darüber hinaus die Wechselwirkung zwischen einzelnen Teilchen zu steuern. Daraus lassen sich große quantenmechanische Systeme aus vielen Tausend Teilchen erzeugen und deren Eigenschaften untersuchen. Im Allgemeinen finden die Simulationen in Ultrahochvakuumapparaturen statt. Im Detail werden Quantensimulatoren dann auf verschiedene Arten realisiert und weiterentwickelt, die sich für unterschiedliche Forschungszwecke eignen.

Kalte Atome als Simulationsbausteine

Oben: Schema eines Quantengasmikroskops. Im Zentrum ist eine Glaszelle, dort werden die Atome in einem optischen Gitter gefangen. Ein Mikroskop sammelt die Fluoreszenzphotonen auf, um ein Bild der Atome zu erzeugen. Unten: Mikroskopbild von Caesiumatomen in einem quadratischen optischen Gittern. Jeder helle Punkt entspricht einem Atom. Der Abstand zwischen einzelnen Atomen beträgt 767 nm.

Ein besonders vielversprechender Ansatz sind kalte Atome in optischen Gittern – regelmäßigen Strukturen aus Licht. Doch um das möglich zu machen, müssen die Atome erst einmal abgekühlt werden. Dazu richtet man Laserstrahlen aus allen drei Raumrichtungen auf die Atome. Die Parameter werden so gewählt, dass die Atome nur dann Photonen absorbieren können, wenn ihre Geschwindigkeit der der Photonen entgegengesetzt ist. Die Absorption eines Photons führt dann zu einem Rückstoß, der das Atom allmählich immer weiter abbremst. Bildlich kann man sich das in etwa so vorstellen, dass die Atome von den Laserstrahlen wie durch einen starken Wind zurückgedrängt werden. Dadurch kommen die Atome fast zum Stillstand, sie sind dann (in der Sprache der Thermodynamik) „kalt“, werden also durch diesen Prozess abgekühlt. Man erreicht Temperaturen, die um ein Vielfaches unterhalb der Temperatur des Weltalls und nahe am absoluten Nullpunkt liegen. Diese kalten Atome werden dann in Interferenzmustern aus Licht gefangen.

Die Konfiguration aus Atomen in einem optischen Gitter dient z. B. als Analogie für Elektronen in einem Festkörper. Hierbei spielen die Atome die Rolle der Elektronen und das Lasergitter bildet den Festkörperkristall nach. Solche stark vereinfachten Modelle von realen Festkörpern erlauben, tiefere Einblicke in die zugrundeliegenden Bausteine und Mechanismen von kom­plexeren Systemen zu erhalten, da die Gesetze, wie sich die Atome im Modell verhalten, mit denen der Elektronen im Festkörper übereinstimmen. Im Modellsystem können die Atome außerdem mithilfe von hochauflösenden Objektiven einzeln manipuliert und beobachtet werden – eine Methode, die unter dem Namen Quantengasmikroskopie bekannt ist.

Experimenteller Aufbau mit Ytterbiumatomen. Der helle grüne Bereich in der Mitte ist die zentrale Vakuumkammer des Aufbaus. Die blauen und grünen Laserstrahlen werden zur Laserkühlung und Abbildung von Ytterbiumatomen verwendet. Sie werden mithilfe von Linsen und Spiegeln auf die Atome gelenkt.

Rydberg-Atome: Riesen der Quantenwelt

Neben der Quantengasmikroskopie gibt es noch eine weitere experimentelle Plattform, die Quantensimulationen mit Atomen ermöglicht: sogenannte Rydberg-Atome in optischen Pinzetten. Jedes einzelne Atom ist hierbei in einer eigenen Falle gefangen, welche durch einen stark fokussierten Laserstrahl erzeugt wird. Der Hauptunterschied zur Quantengasmikroskopie ist, dass der Abstand zwischen benachbarten Atomen typischerweise einige Mikrometer beträgt – etwa zehnmal mehr als in optischen Gittern. Das hat zur Folge, dass sich die Atome auch bei thermischen Anregungen nicht zwischen den Fallen hin- und herbewegen können. Zentral für die Funktionsweise dieses Quantensimulators ist die besonders starke Anregung der Atome in sogenannte Rydberg-Niveaus – das sind sehr hoch angeregte Zustände. Bei diesen Energiezuständen hat das angeregte Elektron eine sehr große Entfernung vom Atomkern, weshalb diese Zustände extrem empfindlich auf elektromagnetische Felder reagieren. Das führt dazu, dass Rydberg-Atome trotz des großen Abstands starke Wechselwirkungen mit ihren Nachbarn haben. Somit eignet sich diese Plattform ideal für Quantensimulationen von Vielteilchensystemen. Da die Anregung zu Rydberg-Zuständen mithilfe von resonantem Laserlicht stattfindet, sind Rydberg-Atom-Anordnungen zudem besonders gut geeignet, um Quantengatter zu realisieren, die die Grundlage für die Funktionsweise von Quantencomputern bilden.

Blick in die Zukunft

Quantensimulatoren decken schon jetzt ein breites Anwendungsfeld ab. Ein Beispiel sind Experimente zur Erforschung der Hochtemperatursupraleitung, also dem Verschwinden des elektrischen Widerstands in bestimmten Materialien bei sehr niedrigen Temperaturen. Die Variation der mikroskopischen Parameter hilft, das zugrundeliegende Verhalten und die entscheidenden Mechanismen besser zu verstehen. Man hofft so, neue Materialien mit bisher unbekannten oder gewünschten Eigenschaften zu entdecken und zu entwickeln. Neben Modellen für Phänomene aus der Festkörperphysik lassen sich auch solche zur Beantwortung von Fragen aus der Teilchenphysik oder der Quantenchemie realisieren.

Das Feld der Quantensimulationen mit neutralen Atomen entwickelt sich rasant. Auf technischer Seite gibt es regelmäßig neue Rekorde, was die Teilchenzahlen, die Kontrollierbarkeit und die erreichten Temperaturen angeht. Darüber hinaus arbeiten einige experimentelle Forschungsgruppen daran, gezielt präzise Uhrenübergänge für Quantensimulationen auszunutzen, Anwendungen in der Quantenmetrologie zu entwickeln oder offene Quantensysteme zu realisieren. Die Verbindung von Quantensimulatoren und -computern ermöglicht außerdem die Realisierung von Mess- und Feedbackprotokollen. Die Qualität von Quantensimulatoren bringt uns schon jetzt an die Grenze des klassisch Beschreibbaren. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis wir einen digitalen fehlerkorrigierten Quantencomputer haben. Dafür birgt dieser jedoch enorme Vorteile, da universelle Algorithmen implementiert werden können und somit ein viel breiteres Anwendungsspektrum abgedeckt werden kann. Spannend ist auch die Kombination von beiden Anwendungen für die Implementierung von hybriden Protokollen, die Simulationen mit digitalen Operationen verknüpfen.

Eine enge Zusammenarbeit mit der Photonik dürfte es außerdem in Zukunft erlauben, die Modellsysteme weiter zu vergrößern und so noch tiefere Einblicke in die komplexen Mechanismen der Quantenwelt zu erhalten.

Monika Aidelsburger