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Unsere Erde

Unsere Erde: Innen ganz unruhig

Die Erforschung des Erdsystems mit physikalischen Verfahren erlaubt uns Einblicke in Aufbau, Struktur und Dynamik unseres Heimatplaneten. Dabei konnten dank Seismologie, Geodäse und anderer Methoden in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte im Verständnis des Erdaufbaus gemacht werden.

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Eine Reise zum Mittelpunkt der Erde, wie von Jules Verne im Jahr 1864 beschrieben, ist zumindest für eine autonome Sonde theoretisch möglich, wie David Stevenson 2003 gezeigt hat. Jedoch gibt es bislang keine Versuche, dies in der Praxis umzusetzen. Immerhin ermöglichen physikalische Methoden eine virtuelle Reise in diese verborgenen Gefilde: Seismologische Untersuchungen, die Erforschung des Gravitations- und Magnetfelds der Erde und geodätische Analysen liefern einen indirekten Zugang zum Erdinneren und den dort ablaufenden Prozessen, die auch Phänomene auf der Oberfläche beeinflussen.

Aus dem ursprünglich homogenen Material, aus dem die Erde vor 4,5 Milliarden Jahren entstand, bildete sich über viele Hundert Millionen Jahre eine zwiebelähnliche Struktur heraus. Die oberste Schicht ist die Erdkruste: Sie reicht von der Oberfläche bis in Tiefen von 20 km bis maximal 80 km und ist uns für die Nutzung von Wasser, Wärme, Bodenschätzen und anderen Ressourcen nur teilweise zugänglich. Die bisher tiefste Bohrung in die Erdkruste erreichte eine Tiefe von 12,2 km.

Unter der Kruste liegt der Erdmantel aus plastisch verformbarem Silikatgestein bis zu einer Tiefe von 2900 km. Mit weit über 80 Prozent stellt er den volumenmäßig umfangreichsten Teil unseres Planeten dar.

Unter dem Mantel liegt der Erdkern. Dessen äußerer Bereich besteht hauptsächlich aus einer Eisen-Nickel-Schmelze. Der innere Kern ab 5150 km Tiefe besteht aus ähnlichem Material, ist aber aufgrund des hohen Drucks von über 300 GPa (das Dreimillionenfache des Atmosphärendrucks) auch bei seiner Temperatur um 5100 °C fest. Der innere Erdkern verfestigt sich durch Abkühlung und damit verbundenes „Ausfrieren“ im Laufe der Zeit immer weiter. Auch die Trennung in schwere und leichte Stoffe sowie der Zerfall von Radioisotopen erzeugen im Erdinneren Wärme. Trotzdem kühlt die Erde, wie auch andere planetare Körper, insgesamt ab.

Ständig in Bewegung

Wir wissen heute durch ein Bündel von geophysikalischen Untersuchungsmethoden, dass alle Schichten der Erde in ständiger, langsamer Bewegung sind. Ein Temperaturgefälle im äußeren Kern treibt den Erddynamo, also das innere Magnetfeld der Erde, an (Seite 109). Temperaturunterschiede im Erdmantel von mehreren Tausend Grad Celsius sorgen auch für gigantische Umwälzbewegungen: Warmes Material steigt nach oben, erkaltetes sinkt nach unten – auf einer typischen Zeitskala von rund 30 Millionen Jahren.

Diese Konvektion ist auch verantwortlich für die Bewegungen der mehr oder weniger starren Platten im oberen Erdmantel und der Kruste. Diese driften mit Geschwindigkeiten von einigen Zentimetern pro Jahr über den zähflüssigen Bereich des Mantels. Wie sich die Platten zueinander bewegen, lässt sich mit Methoden der Satellitengeodäsie heute genauestens beobachten und verfolgen. In unserem Sonnensystem ist die Erde nach heutigem Wissen der einzige Planet, der derzeit eine solche Plattentektonik aufweist, allerdings gibt es Hinweise auf mögliche tektonische Aktivität auf dem Jupitermond Europa und dem Saturnmond Titan.

Tektonische Großplatten und Plattengrenzen. Rücken entstehen an den divergenten Plattengrenzen, Gräben an den konvergenten Grenzen, Verwerfungen dort, wo die Platten konservativ aneinander vorbei gleiten.

An den Grenzen der Platten treten verschiedene tektonische Phänomene auf: So bilden sich Gebirge an den Orten, wo sich Platten aufeinander zubewegen oder untereinander abtauchen, wie zum Beispiel unter den Alpen in Europa oder unter den Anden in Südamerika. Auch starke Erdbeben entstehen an Plattengrenzen, wenn sich Platten gegeneinander bewegen. Reiben sich zwei Platten im obersten Bereich der Kruste und die elastischen Spannungen werden zu groß, so entsteht ein plötzlicher Bruch und die Gesteinsschollen verschieben sich gegeneinander.

Wenn die Erde bebt

Die freigesetzte Spannungsenergie breitet sich zum Großteil in Form von seismischen (elastischen) Wellen aus, die in der Nähe der Bruchstellen so stark sein können, dass beträchtliche Schäden an Gebäuden und Infrastrukturen entstehen und viele Menschen verletzt oder getötet werden können, wie zum Beispiel infolge der verheerenden Erdbeben im syrisch-türkischen Grenzgebiet im Februar 2023. Befindet sich der Bruch an der Grenze zwischen einer ozeanischen und einer kontinentalen Platte nahe dem Meeresboden, dann werden mitunter Schwerewellen im Meer angeregt. Diese können sich in Küstennähe zu gefährlichen Tsunamis aufbauen, wie zum Beispiel 2004 nach dem Sumatra-Andamanen-Erdbeben mit den Verwüstungen und 230 000 Toten an den Küsten des Indischen Ozeans oder 2011 nach dem Tohuku-Beben, wo ein Tsunami zum Nuklearunfall in Fukushima führte.

Um die Folgen von Erdbeben für Menschen und Infrastruktur zu mindern, arbeitet die Forschung seit vielen Jahren an besseren Modellen zur Abschätzung der Wahrscheinlichkeit für extreme Bodenbewegungen durch Starkbeben und wie diesen durch Baunormen begegnet werden kann. Erdbeben- und Tsunami-Frühwarnsysteme konnten in jüngster Zeit als operative Systeme etabliert werden (siehe Seite 258).

Die Vorhersage von Erdbeben bleibt allerdings nach wie vor schwierig. Zwar gab es wichtige Fortschritte, etwa die großflächige Erfassung der Relativbewegung an Plattengrenzen mithilfe von Satelliten oder Erfolge beim Verständnis der Nukleationsprozesse von Erdbeben. Nur leider sind die erwarteten Signale so klein, dass man Sensoren nahe dem zukünftigen Epizentrum des Bebens installieren müsste – dessen Lage ist aber in der Regel unbekannt. Die Erdbebenforschung wird heutzutage auch in anderer Richtung genutzt. So können Mikrobeben verlässliche Auskunft über Prozesse im Untergrund geben – unter anderem auch bei Vulkanen.

Schematisches Modell der Plattentektonik: Auseinanderstrebende Plattengrenzen lassen die mittelozeanischen Rücken entstehen, senkrecht dazu entstehen Verwerfungen. Dort, wo die Litosphäre absinkt, sind die Subduktionszonen, die zu tiefen Ozeangräben führen. Hinter den Gräben entsteht verstärkt vulkanische Aktivität, entweder als vulkanischer Inselbogen oder in Gebirgsketten mit Vulkanen. An der Kontinent-Ozean-Kollision bildet sich außerdem ein Akkretionskeil aus Sedimenten und einer Sedimenterhebung vor dem vulkanischen Gürtel.

Flüssiges Gestein

Vulkanismus ist ein spektakuläres Beispiel für die komplexe Art und Weise, in der Energie und Materie zwischen Hauptkompartments unseres Planeten – der festen Erde, dem Ozean und der Atmosphäre – ausgetauscht werden. Vulkane sind Stellen an der Erdoberfläche, an denen Materie aus dem Erdinnern – sogenanntes Magma – an die Oberfläche bricht. Praktisch alle derzeit auf der Erde ausbrechenden Magmen, die Lava genannt werden, sobald sie die Erdoberfläche durchbrechen, sind silikatische Flüssigkeiten (mit Ausnahme der Karbonatschmelze am Ol Doinyo Lengai, Afrika), deren Zusammensetzung, Viskosität und Temperatur erheblich variieren kann. Magmen sind ein Gemisch aus Schmelze (Flüssigkeit), suspendierten Kristallen (Festkörper) und Gasblasen, wenn sie sich der Oberfläche nähern (Gasphase) oder in größerer Tiefe als superkritische Flüssigkeit. Das Ausgangsgestein kann durch Erhöhung der Temperatur, Verringerung des Drucks oder eine Änderung der Zusammensetzung schmelzen. Obwohl das Schmelzen durch einen Temperaturanstieg in einer Region des Erdinneren am plausibelsten erscheinen mag, spielen die beiden letzten Möglichkeiten tatsächlich eine viel größere Rolle. So können sich durch die Druckentlastung beim konvektiven Aufstieg von Mantelgestein partielle Gesteinsschmelzen im oberen Erdmantel bilden. Diese verbinden sich nach und nach und steigen durch Auftriebskräfte, welche durch den Dichteunterschied zwischen der Schmelze und dem Ausgangsgestein verursacht werden, häufig an Plattengrenzen oder anderen Schwachstellen in der Erdkruste auf. Es bilden sich über viele Tausende von Jahren magmatische Reservoire.

Nahe der Kruste-Mantel-Grenze lösen sich auch erstmals flüchtige Anteile aus den Magmen, wie zum Beispiel Kohlendioxid. Diese können entweder separat weiter nach oben bis an die Erdoberfläche dringen, oder zur Vergrößerung des Dichteunterschieds zwischen magmatischem Gestein und Umgebung führen und so dessen Auftriebskraft vergrößern. Ein verändertes Entgasungsverhalten ist daher oft der erste Vorbote für einen Vulkanausbruch.

Vulkanausbrüche und die Folgen

Vulkanausbrüche werden auch häufig von einer Vielzahl von schwachen Erdbeben begleitet, wie zum Beispiel 2021 auf der atlantischen Ferieninsel La Palma. Nur mithilfe aller verfügbaren Informationen (Erdbeben, Oberflächenverformung, Temperatur, Gasemissionen und vieles mehr) lassen sich vulkanische Aktivitäten möglicherweise vorhersagen. Bei einem Ausbruch kann es zu effusiver und explosiver Aktivität kommen. Die erste bezeichnet das Herausfließen oft bereits entgaster Lava. Dies kann erhebliche Sachschäden zur Folge haben, wenn zum Beispiel ganze Ortschaften unter dem herausfließenden Gestein begraben werden. Explosive Aktivität kann im Extremfall Materie bis in die oberen Atmosphärenschichten schleudern und den globalen Temperaturhaushalt beeinflussen.

Neben Wasserdampf ist Kohlendioxid (CO2) noch vor den Schwefelkomponenten das von Vulkanen am meisten ausgestoßene Gas. Zwar stoßen Vulkane um zwei Größenordnungen weniger CO2 aus als menschliche Aktivitäten, dennoch spielt der Ausstoß durch magmatische Prozesse für den globalen Kohlenstoffkreislauf langfristig eine wichtige Rolle: Kämen magmatische Prozesse zum Erliegen, so würde den Oberflächenreservoirs wie Ozean, Biosphäre und Atmosphäre schon nach rund 200 000 Jahren der Kohlenstoff ausgehen.

Die dritthäufigste Komponente von Vulkangasen, der Schwefel, ändert das globale Klima kurzfristig. So kühlte der Ausbruch des Tambora im Jahr 1815 die Erde im darauffolgenden „Jahr ohne Sommer“: Durch den Schwefel bilden sich in der Atmosphäre Schwebeteilchen, die das Sonnenlicht zurückstreuen und einen kühlenden Effekt haben – ein Phänomen, über dessen technisches Potenzial bereits im Rahmen des Climate Engineering („Kein Ersatz für Klimaschutz“ auf Seite 271) nachgedacht wird.

Die zwei Satelliten der GRACE-Follow-On-Mission befinden sich auf identischen Bahnen um die Erde. Ihr Abstand wird fortlaufend genau vermessen und lässt auf das Gravitationspotenzial schließen – und damit auf die Massenverteilung der Erde darunter.

Einzigartig im Sonnensystem

Die feste Erde besteht aber nicht nur aus Gestein. Die Erdkruste beherbergt auch ein rares, überlebenswichtiges Gut: Süßwasser. Diese Grundwasservorräte und ihre Variationen lassen sich mithilfe von Satelliten genau kartieren. Die Satellitenpaare GRACE (steht für Gravity Recovery And Climate Experiment) und GRACE Follow-On vermessen aus dem All das Schwerefeld der Erde – was wiederum Schlüsse auf die Verteilung von Grundwasser in der Erde zulässt (siehe auch der Folgeartikel). Sie nutzen dazu eine Präzisionstechnologie, die für Gravitationswellendetektoren entwickelt wurde, die sogenannte Laserinterferometrie.

Dies ist bei Weitem nicht die einzige Verbindung zwischen der Erforschung der Erde und der Erforschung des Weltraums. So ermöglicht uns die Raumfahrt, die Struktur und Dynamik der Erde mit der anderer Planeten zu vergleichen: Die Mission InSight (Interior Exploration using Seismic Investigations, Geodesy and Heat Transport) setzte im November 2018 erstmalig ein Seismometer auf dem Mars ab, um die seismische Aktivität unseres Nachbarplaneten zu erfassen und zu charakterisieren und so die innere Struktur und Dynamik des Mars weiter einzugrenzen.

Auch die vulkanische Aktivität an der Oberfläche des Galileischen Mondes Io des Jupiters lässt sich mithilfe von Raumsonden beobachten. Eruptionen schleudern dort Schwefel bis 300 km Höhe. Zum Vergleich: Die höchste bekannte Eruption auf der Erde war die des Unterseevulkans Hunga Tonga-Hunga Ha’pai im Pazifik im Januar 2022 und erreichte Höhen bis etwa 60 km.

Vergleiche wie diese können wir für viele Planeten durchführen. So zeigt sich, dass Merkur zwar ein globales Magnetfeld besitzt wie die Erde, aber keine Atmosphäre. Venus zeigt Hinweise auf junge vulkanische Aktivität, aber keine ausgeprägte Plattentektonik. Unsere Erde ist einzigartig: Nur sie weist im Sonnensystem alle für Leben erforderlichen Bedingungen auf.

Für das Verständnis und die Erforschung der komplexen Zusammenhänge des Systems Erde gilt es, alle Daten und Informationsquellen integrativ zu nutzen. Die zunehmend großen Datenmengen können heute durch Methoden der Künstlichen Intelligenz analysiert und ausgewertet werden. Dies hat in vielen Bereichen bereits erstaunliche Erkenntnisse hervorgebracht und dürfte in Zukunft weiter zum Verständnis der komplexen Beziehungen und Wechselwirkungen im Erdsystem beitragen.

Nicole Bobrowski, Torsten Dahm, Karl-Heinz Glaßmeier, Christian von Savigny und Monika Sester