MENSCHEN
Für die Gesellschaft

Die Büchse der Pandora

Das Wechselspiel von Rüstung und Abrüstung ist die Geschichte der Interaktion von Physik und Militär einerseits und von Physik und zivilgesellschaftlichem Engagement andererseits.

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Im Dezember 1938 entdeckten Otto Hahn und Fritz Strassmann in Berlin die Kernspaltung des Uran-Atoms. Schnell wurde klar: Die dabei freiwerdende Energie lässt sich sowohl für friedliche als auch für militärische Zwecke verwenden. Im Zweiten Weltkrieg gelang den Physiker:innen im geheimen Manhattan-Projekt (1942–45) in Los Alamos (USA) mit enormen finanziellen und personellen Mitteln der Bau und der Test der ersten Atombombe. Zwei nach heutigem Maßstab „kleine Atombomben“ zerstörten im August 1945 die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki – mit verheerenden Folgen: Mehr als hunderttausend Menschen waren sofort tot, viele weitere starben an den Folgen des Bombenabwurfs – denn Atombomben setzen neben enormer Hitze und Druck auch schädliche radioaktive Strahlung frei. Einen Schutz gegen eine Atomexplosion gibt es bis heute nicht. Der Leiter des Manhattan-Projekts, Julius Robert Oppenheimer, sagte: „Die Physiker haben erfahren, was Sünde ist, und dieses Wissen wird sie nie mehr ganz verlassen.“<7/p>

In der Nachkriegszeit scheiterten Bestrebungen, einen Rüstungswettlauf zwischen den Großmächten zu verhindern und die Weltgemeinschaft ausschließlich auf die friedliche Nutzung der Kernenergie einzuschwören. Im Gegenteil: Weitere Staaten sahen die Existenz der Atombombe als Bedrohung an und begannen mit der Entwicklung und Tests eigener Arsenale. Das militärische Nuklearzeitalter hatte begonnen.

Hochrüsten in der Nachkriegszeit

Im Kalten Krieg wurden Kernphysiker:innen, Ingenieur:innen und militärische Großprojekte ein zentraler, systematisch geförderter Faktor der „nationalen Sicherheit“. Neue, gut finanzierte Waffenlabore entstanden in den USA sowie in abgeschotteten Wissenschaftsstädten in der UdSSR. Die Zahl der nuklearen Sprengköpfe stieg in den 1960er- bis 1980er-Jahren drastisch an. Im Januar 1961 warnte US-Präsident Dwight D. Eisenhower vor einem verstärkten Wettrüsten auch aufgrund neuer technologischer Revolutionen. Besonders signifikante Beispiele für wissenschaftliche Projekte, die das Wettrüsten vorantrieben, sind der Bau der Wasserstoffbombe (1953–1955), die eine tausendfache Explosionssteigerung gegenüber der Hiroshimabombe ermöglicht, sowie die Entwicklung von Interkontinentalraketen, Atom-U-Booten und strategischen Bombern sowie anderen ziel­genauen Träger­systemen, an deren Einsatzdoktrinen auch Wissenschaftler:innen beratend beteiligt waren. Sogenannte taktische Atomwaffen, die für den unmittelbaren Einsatz in Kriegsgebieten konstruiert wurden, wurden in Europa und Asien auch im Hinblick auf konventionell geführte Kriege stationiert. Das Wettrüsten dauerte bis in die 1990er-Jahre hinein. Physiker:innen und geheime Forschungseinrichtungen spielten dabei eine besondere Rolle.

Doch Physiker:innen haben auch schon seit jeher vor der nuklearen Aufrüstung gewarnt: Schon in Los Alamos und direkt danach versuchten bedeutende Nobelpreisträger wie Niels Bohr, Albert Einstein und Max Born eine künftige weltweite Atombewaffnung in weiteren Ländern durch hochrangige politische Kontakte, öffentliche Appelle, später durch Abrüstungsvorschläge und internationale Regelungen zu verhindern. Auch der Franck-Report vom 11. Juni 1945 warnte vor einem drohenden Wettrüsten und empfahl erste Kontrollmaßnahmen. Nach Kriegsende bestand in der Zeit des „uneingeschränkten Nuklearoptimismus“ die Hoffnung, durch internationale Regelungen die zivile Nutzung der Kernenergie global zu regeln. 1957 wurde die Internationale Atomenergie-Agentur, IAEO, als unabhängige Agentur der Vereinten Nationen gegründet, um weitere Länder mit dem Versprechen auf das Recht auf zivile Nutzung der Kernenergie vom militärischen Gebrauch der Kernenergie abzuhalten. Diese Initiative führte sowohl zur Weiterverbreitung der friedlichen, aber auch in einigen Fällen der militärischen Nutzung.

In ihrem Manifest vom 9. Juli 1955 riefen u. a. Albert Einstein und Bertrand Russell Regierungen, die breite Öffentlichkeit und die Wissenschaft auf, der nuklearen Bedrohung für die Menschheit mehr Beachtung zu schenken. Die Unterzeichner, darunter auch die Nobelpreisträger Max Born und Hideki Yukawa, forderten die Regierungen auf, „friedliche Mittel für die Beilegung ihrer Konflikte zu finden.“ Daraus resultieren die „Pugwash Conferences on Science and World Affairs”, in denen Wissenschaftler:innen seit ihrer Gründung 1957 bis heute Vorschläge zur nuklearen Risikoreduzierung, Konfliktlösung und Abrüstung diskutieren und erarbeiten. In den folgenden Jahrzehnten gelang es, basierend auf technischer Expertise und Analysen, Rüstungskontrollverträge vorzubereiten und anzuregen, besonders zwischen den USA und der UdSSR.

Wider die nukleare Bedrohung

Ein erster Schritt war das Verbot der Stationierung von Atomwaffen in verschiedenen Regionen, so in der Antarktis (1959), später im Weltraum (1967) und auf dem Meeresboden (1971). Dennoch nahm die Produktion von neuen Sprengköpfen auf neuen Trägersystemen weiter dramatisch zu. Als es im Zuge der Kubakrise im Oktober 1962 fast zu einem Atomkrieg zwischen der UdSSR und den USA kam, wurden danach erstmalig Rüstungskontrollkonzepte von Wissenschaftler:innen entwickelt, um einen Atomkrieg aus Fehlkalkulation oder Irrtum auszuschließen. Rote Telefone und vertrauensbildende Maßnahmen wurden eingeführt, um eine weitere Kubakrise zu verhindern.

Ein weiterer Schritt zur Abrüstung waren die Begrenzung bzw. das Ende der teilweise wöchentlich stattfindenden überirdischen Atomtests und die Entwicklung von Technologien, um dies überprüfen zu können. 1963 verbot der „Begrenzte Teststoppvertrag“ Atomtests in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser. Unterirdische Atomtests wurden aber weitergeführt. 1958 nahmen Fachleute aus zehn Staaten in Genf die Arbeit zur Entwicklung von seismischen Messverfahren auf, mit denen sich auch unterirdisch gezündete Nuklearladungen detektieren ließen. Hier wurden in internationaler Zusammenarbeit erstmalig die Randbedingungen und die Grundlagen für eine spätere Verifikation eines vollständigen Teststoppvertrags geschaffen. Die Frage nach adäquaten Technologien konnten wissenschaftliche Gruppen insbesondere auch dann weiterverfolgen, wenn der politische Prozess stagnierte. Dies führte einerseits zu weiteren technologischen Entwicklungen, wie seismischer Detektion, Hydro- oder Infraschallmessungen, und hatte andererseits einen vertrauensbildenden Effekt. Bis heute werden im Rahmen der IAEA Sicherungsmaßnahmen ausgearbeitet oder forensische Analysen von Nuklearmaterial durchgeführt.

Wissenschaftler:innen spielten bei der Begründung und Umsetzung des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV), der am 5. März 1970 in Kraft trat, eine wichtige Rolle. Der NVV verpflichtet die traditionellen Nuklear­waffen­staaten zur Abrüstung und garantiert den 184 Staaten, die keine Nuklearwaffen besitzen, die friedliche Nutzung der Kernenergie. Ein umfassender Teststoppvertrag (Comprehensive Nuclear-Test-Ban-Treaty, CTBT) konnte 1996 geschaffen werden. Er ist immer noch nicht in Kraft, weil noch nicht alle beteiligten Staaten ihn ratifiziert haben. Der CTBT verfügt aber über ein globales Messsystem, das von Wien aus koordiniert wird. Global gilt ein weltweites Testtabu, an das sich lediglich Nordkorea nicht hält.

Gesellschaftliches Engagement der Wissenschaft

Geschätzte Größe des nuklearen Arsenals weltweit. Die Kubakrise und wichtige Rüstungskontrollverträge sind markiert (dazu auch die Tabellen auf der folgenden Doppelseite).

Vor dem Hintergrund des in den 1960er-Jahren begonnenen beispiellosen quantitativen wie qualitativen Wettrüstens zwischen den Blöcken haben besonders Physiker:innen aufgrund ihres Wissens versucht, Regierungen oder internationale Organisationen (z. B. die IAEA) zu beraten oder vertrauliche Gespräche über die Blöcke hinweg zu organisieren. Der Öffentlichkeit verpflichtete Wissenschaftler wie Leo Szilard, Joseph Roblat oder Carl Friedrich von Weizsäcker gründeten Organisationen wie die Federation of American Scientists, das Bulletin of the Atomic Scientists oder die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, um die Öffentlichkeit zu informieren sowie Abrüstungsempfehlungen und Verifikationsmaßnahmen zu erarbeiten. In Deutschland forderten 1957 führende Kernphysiker, darunter Werner Heisenberg, Carl Friedrich von Weizsäcker und Otto Hahn, in der Göttinger Erklärung eine umfassende Aufklärung der Bevölkerung über die Gefahren von Atomwaffen in Europa und einen Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf Atomwaffenbesitz. In der Sowjetunion konvertierte Andrei Sacharow, der die Wasserstoffbombe mitentwickelt hatte, zu einem der prominentesten Verfechter der nuklearen Abrüstung. Sein Engagement begann Ende der 1950er-Jahre mit der Forderung nach einem Ende der atmosphärischen Kernwaffentests.

Die Weiterentwicklung und die Weiterverbreitung von Atomwaffen waren dennoch nicht aufzuhalten. Die Zahl der produzierten Sprengköpfe zwischen den USA und der UdSSR erreichte 1987 ihren Höhepunkt. Als die USA das Nuklearmonopol verloren hatten, warben Physiker wie Edward Teller für die Wasserstoffbombe, später für die Entwicklung eines undurchdringbaren Abwehrschirms gegen russische Nuklearraketen. In diesem Rahmen forderte US-Präsident Ronald Reagan 1986 die Wissenschaft dazu auf, daran zu forschen, wie mithilfe neuer Strahlenwaffen Atomwaffen „impotent und obsolet“ gemacht werden können. Dies führte auf wissenschaftlicher Seite zu neuen Studien, die zeigten, dass die geforderten exotischen Technologien nicht zu Verfügung standen und ein hundertprozentiger Schutz nicht möglich war. Im Gegenteil: Simulationsmodelle über die Folgen eines globalen Nuklearkriegs verdeutlichten der Öffentlichkeit die planetaren Konsequenzen eines Atomkriegs. Berechnungen zum „nuklearen Winter“, also zur Verdunkelung der Erdatmosphäre durch Atomexplosionen, zeigten die katastrophalen Folgen eines Nuklearwaffeneinsatzes für jede Gesellschaft und die gesamte Menschheit. Unter dem sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow wurden gemeinsame seismische Messungen von amerikanischen und russischen Wissenschaftler:innen in der Nähe von Atomtestgeländen und die Verifikation von operativen Atomsprengköpfen an Bord eines russischen Kriegsschiffs im Schwarzen Meer im Juli 1989 möglich und bereiteten einen Wandel in den westlich-russischen Beziehungen vor.

Im Kalten Krieg hatten amerikanische, russische und europäische Wissenschaftler bereits früh auf vertraulicher Basis auf der Ebene nationaler Wissenschaftsakademien oder transnationaler Organisationen wie Pugwash geholfen, durch Track-II-Treffen zum Ende des Kalten Kriegs beizutragen. Ende der 1980er-Jahre setzten sich konkrete Abrüstungsvorschläge durch. Die gefährlichen Mittelstreckenraketen verschwanden im Rahmen des INF-Vertrags 1987 aus Europa und Russland. Die Trägersysteme wurden zerstört. Die riesigen Nukleararsenale der USA und Russlands konnten, abgesichert durch strategische Abrüstungsverträge START I/II weiter reduziert werden. Als 1989 die Berliner Mauer fiel, konnten die politischen Entwicklungen durch neue Rüstungskontrollverträge wie die START-Verträge 1991 und 1993 abgesichert werden. Mit der Unterzeichnung des CTBT und der Errichtung eines weltweiten Messsystems zur Detektion und Lokalisierung von Nukleartests gelang es, ein internationales Tabu zur Durchführung von Atomwaffentests zu errichten. Der CTBT-Vertrag soll der Entwicklung neuer Arten von Atomwaffen ein Ende setzen und die Weiterverbreitung von Atomwaffen beschränken. Physiker:innen beteiligen sich an der Entwicklung von Überprüfungstechnologien und dem Aufbau eines internationalen Messsystems. Indien und Pakistan führten dennoch 1998 Nukleartests durch und Nordkorea testete bisher sechsmal seit 2017 (Stand 2024). Wissenschaftliche Analysen der Nuklearprogramme, Produktionskapazitäten und Trägersysteme dieser Länder sind angesichts der fehlenden öffentlichen Daten unerlässlich. Die ungeklärten Programme des Irak führten 2003 zu einem Krieg und in Bezug auf den Iran trotz internationaler Kontrollbemühungen zur Notwendigkeit weiterer Studien, denn viele Schlüsseldetails dieser Staaten sind nicht bekannt.

Verträge

  • Antarktisvertrag 1.12.1959: kernwaffenfreie Antarktis (in Kraft seit 23.6.1961, unterzeichnet von 45 Staaten)
  • Limited Test Ban Treaty (LTBT) 5.8.1963: Verbot von Tests in Atmosphäre, Weltraum und unter Wasser (in Kraft seit 10.10.1963, unterzeichnet von 131 Staaten)
  • Vertrag von Tlatelolco 14.2.1967: kernwaffenfreie Zone in Südamerika und Karibik (in Kraft seit 22.4.1968, alle 33 Staaten der Region)
  • Nichtverbreitungsvertrag (NVV) 1.7.1968: Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (in Kraft seit 5.3.1970, unterzeichnet von 189 Staaten)
  • Meeresboden-Vertrag 11.2.1971: Vertrag über das Verbot der Anbringung von Kernwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen auf dem Meeresboden und im Meeresuntergrund (unterzeichnet von 86 Staaten, in Kraft seit 18.5.1972)
  • ABM-Vertrag (außer Kraft) 26.5.1972: Bilateraler Vertrag zwischen USA und UdSSR (später Russland, Weißrussland, Ukraine und Kasachstan) zur Begrenzung von Systemen zur Abwehr von ballistischen Raketen (in Kraft seit 3.10.1972, die USA sind 2002 einseitig zurückgetreten)
  • SALT I 26.5.1972: Bilaterales Abkommen zwischen USA und UdSSR zur Begrenzung von strategischen Offensiv-Waffen (in Kraft seit 3.10.1972)
  • SALT II 18.6.1979: Bilaterales Folgeabkommen zwischen USA und UdSSR zur Begrenzung von strategischen Offensiv-Waffen (nie in Kraft getreten)
  • Vertrag von Rarotonga (Südpazifik) 6.8.1985: Vertrag zur Schaffung einer kernwaffenfreien Zone im Südpazifik (in Kraft seit 1986, von 13 Staaten unterzeichnet)
  • INF-Vertrag USA/UdSSR-Russland, 8.12.1987: Verbot der Herstellung und Lagerung von Mittelstreckensystemen (erfüllt und außer Kraft), am 1.6.1988 in Kraft getreten, von den USA 2022 gekündigt
  • START-I USA/UdSSR-Russland, 31.7.1991: Reduzierung der strategischen Nuklearwaffen innerhalb von sieben Jahren um ca. ein Drittel gegenüber 1991 auf gemeinsame Obergrenzen von 1600 Trägersystemen und 6000 Gefechtsköpfen (in Kraft 5.12.1994, erfüllt und außer Kraft)
  • Comprehensive Testban Treaty (CTBT) 10.11.1996: Verbot jeglicher Art von Nuklearwaffentests und anderer Formen von Nuklearexplosionen. Der Kernwaffenstopp-Vertrag soll der Entwicklung neuer Arten von Kernwaffen ein Ende setzen und die vertikale Weiterverbreitung von Kernwaffen beschränken (187 Unterzeichner- und 178 Ratifikationsstaaten, nicht jedoch Ägypten, China, Iran, Israel und die USA. Indien, Pakistan und Nordkorea haben nicht unterzeichnet. De-Ratifizierung durch Russland 2023, Vertrag nicht in Kraft).
  • Strategic Offensive Reduction Treaty (SORT) 24.5.2002: Reduziert US/RF Arsenale auf ca. 1700 bis 2200 strategische Sprengköpfe bis 2012 (erfüllt 2012)
  • New-START Vertrag USA/Russland, 8.4.2010: Begrenzung auf je 1550 Sprengköpfe auf 700 Trägern der USA und Russland, Laufzeit 15 Jahre (in Kraft seit 5.2.2011)
  • Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons (TPNW) 22.1.2021, Atomwaffenverbotsvertrag: Verbot Nuklearwaffen „zu entwickeln, zu testen, zu produzieren, herzustellen oder anderweitig zu erwerben, zu besitzen oder zu lagern“, in Kraft

Nukleare Rüstung und Abrüstung

  • 1938 Entdeckung der Kernspaltung (Otto Hahn, Fritz Strassmann, Lise Meitner, Otto Frisch, Leo Szilard, Niels Bohr, Frédéric Joliot-Curie)
  • 1942–1945 Manhattan-Projekt (Los Alamos, Robert Oppenheimer u. a.)
  • 16.7.1945 Zündung der ersten Atombombe (Trinity-Test, USA)
  • 6. und 9.8.1945 Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki
  • 29.8.1949 Zündung der ersten sowjetischen Atombombe
  • ab 1950 Entwicklung der Wasserstoffbombe (Vereinigte Staaten und Russland, Edward Teller, Andrei Sacharow u. a.)
  • 1.11.1952 Zündung der ersten Wasserstoffbombe durch die USA im pazifischen Eniwetok-Atoll 18.12.1953 Eisenhower-Rede „Atoms for Peace“ vor der UN-Generalversammlung (erste gleichnamige Konferenz 1955 in Genf, Homi Bhabha, Niels Bohr, Isidor Rabi u. a.)
  • 9.7.1955 Russell-Einstein-Manifest (Bertrand Russell, Albert Einstein und zehn weitere Nobelpreisträger)
  • 7.–10.7.1957 Gründung der Pugwash Conferences on Science and World Affairs (Friedensnobelpreis 1995)
  • 29.7.1957 Gründung der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA) (Friedensnobelpreis 2005)
  • 12.4.1957 Göttinger Erklärung (Max Born, Otto Hahn, Werner Heisenberg u. a.)
  • ab 1958 Entwicklung der Neutronenbombe von Samuel Cohen (USA, ab 1981 wurden 700 Neutronensprengköpfe produziert, inzwischen alle demontiert)
  • Oktober 1962 Kubakrise (Beginn von Überlegungen zur Rüstungskontrolle und Abrüstung)
  • 1958–1960 Group of Scientific Experts in Genf (Expert:innen aus zehn Staaten beschäftigen sich mit seismischer Messtechnik)
  • 23.3.1983 SDI-Rede von Ronald Reagan zur Einführung von strategischer Raketenabwehr (Edward Teller, Hans Bethe und Richard Garwin)
  • 19.11.1996 CTBTO PrepCom Vorbereitungskommission für die Organisation des Vertrages über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBT) mittels eines weltweiten Überwachungssystems
  • April/Mai 1998 Nuklearwaffentests in Indien und Pakistan (Beginn eines nuklearen Rüstungswettlaufs zwischen Indien und Pakistan)
  • 2006–2017 Sechs nordkoreanische Nuklearwaffentests (Nordkorea, Indien, Pakistan und Israel sind nicht Mitglieder des NVV), seitdem gab es keine weiteren Nuklearwaffentests

Neue Konflikte, nukleare Gefahren

Im Jahr 2002 kündigten die USA den ABM-Vertrag, der die Raketenabwehr der USA und Russlands auf je 100 Systeme begrenzte. Seitdem wird die strategische und taktische Raketenabwehr weiterentwickelt. Unter US-Präsident Barack Obama gelang es 2009, eine Diskussion über die reale Option einer Welt ohne Atomwaffen in Gang zu bringen, in der klar wurde, dass weitere technische Maßnahmen und starker politischer Willen zur Abrüstung des immer noch riesigen Nukleararsenals nötig sind. 2010 unterzeichneten die USA und Russland den New-START-Vertrag und verpflichteten sich damit, ihre strategischen Arsenale auf je 1550 Sprengköpfe auf 700 Trägern nachprüfbar zu begrenzen. New-START ist zwar weitgehend erfüllt, das Abkommen endet aber trotz einer fünfjährigen Verlängerung im Februar 2026. Inzwischen ist auch der INF-Vertrag gekündigt und der Abrüstungsdialog zwischen den USA und Russland blockiert. Die neun Nuklearstaaten verfügen zusammen immer noch über 13 000 nukleare Sprengköpfe. Davon gehören über 90 Prozent den USA und Russland. Zudem nimmt die Zahl der einsetzbaren Atomwaffen in einigen Staaten weiter zu, so u. a. in Indien, Pakistan, Großbritannien, China und besonders in Nordkorea. Im Kontext des Ukrainekriegs wurden zivile Nuklearanlagen beschossen und der russische Präsident Wladimir Putin brachte die Möglichkeit eines Einsatzes von taktischen Nuklearwaffen wieder ins Spiel. Diese Waffenkategorien sind nicht Bestandteil von Abrüstungsregelungen. Neue nuklearbestückte Trägersysteme (Überschallwaffen, Unterwassertorpedos oder nuklearbetriebene Marschflugkörper) befinden sich in der Testphase. Zum Verständnis dieser Modernisierungsentwicklungen und den damit einhergehenden Bedrohungen ist das verstärkte Engagement von Physiker:innen gefragt.

Die Gefahr eines Einsatzes nuklearer Waffen und fortgesetzter nuklearer Weiterverbreitung nimmt angesichts ungelöster Konflikte weltweit wieder zu. Ein Nuklearwaffeneinsatz aus Versehen ist heute daher ebenso wenig ausgeschlossen wie ein beabsichtigter Einsatz oder ein Akt des Nuklearterrorismus. Würde auch nur ein Prozent des bestehenden militärischen Nukleararsenals zum Einsatz kommen, hätte dies neben den unmittelbaren katastrophalen Konsequenzen wegen des „nuklearen Winters“ auch unabsehbare Folgen für das globale Klima und aufgrund der damit zusammenhängenden Ernteausfälle auf die Ernährung und Lieferketten. Simulationsprogramme zeigen, dass auch kleine Nuklearexplosionen überregionale Folgen haben und mit weitreichendem Fall-out, Klimafolgen und Hungersnöten einhergehen. Selbst ein „regionaler“ Nuklearkrieg würde neuesten Simulationen zufolge zu Millionen Toten führen und zusätzlich das globale Klimasystem und die Nahrungsmittelproduktion massiv beeinträchtigen sowie zu einer globalen Hungersnot führen.

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft hat sich immer wieder mit Statements zu Abrüstungsfragen zu Wort gemeldet, unter anderem im Rahmen der öffentlichen Max-von-Laue-Vorlesungen. Die Arbeitsgruppe Physik und Abrüstung beschäftigt sich in Fachsitzungen mit Fragen der nuklearen Rüstungskontrolle, Rüstungstechnologiefolgenabschätzung, Verifikation und Abrüstung. Arbeitsgruppen an Universitäten forschen u. a. zu Problemen der Risikofolgenabschätzung, zur Verifikation von Abrüstungsverträgen und zur Nichtverbreitung nuklearer Waffensysteme und -materialien. Mithilfe neuer Messmethoden für Radionuklide, mit Detektoren für Infra- und Hydroschall und mit seismischen Instrumenten lassen sich beispielsweise Verstöße gegen das Verbot von Atomtests aufdecken. Auch bei der Abrüstungskontrolle kommen physikalische Verfahren zum Einsatz: So gilt es beispielsweise zu prüfen, ob ein deklarierter Sprengkopf, der abgerüstet wurde, nicht in Wirklichkeit eine Attrappe ist. Solche Authentifizierungen lassen sich mittels Messung von Gammaspektren sowie von Neutronen an den zerlegten Komponenten durchführen. Eine Herausforderung besteht darin, die nuklearen Sprengköpfe zu authentifizieren und zu zerlegen, ohne dass proliferationsrelevantes Wissen verraten oder weitergegeben wird. Dabei nutzen die Abrüstungskontrolleur:innen kryptografische Verfahren sowie die „Zero-Knowledge“-Verifikation, bei denen eine Partei die andere stichhaltig und nachvollziehbar von der Tatsache überzeugen kann, dass eine Kernwaffe authentisch ist, ohne dabei jegliche Informationen über die Waffe oder deren Design zu offenbaren. Mit diesen und weiteren Maßnahmen, Rüstungskontrollkonzepten, Vorschlägen zur Risikoreduzierung und öffentlicher Aufklärung hoffen die Physiker:innen, die Büchse der Pandora, die sie einst mit geöffnet haben, wieder verschließen zu können und die Gefahr eines Nuklearkriegs auf ein Minimum zu reduzieren.