MENSCHEN
Bildung und Beruf

Alltagsbezogen, interaktiv und multimedial

Digitale Technologien sind im Alltag der Schüler:innen längst präsent und sollten es auch in der Schule sein. Nicht alle klassischen Unterrichtsmethoden sind deshalb überholt, aber in vielerlei Hinsicht bedarf es einer Neujustierung des Physikunterrichts.

Vorabversion

So unterschiedlich wie die Lehrkräfte als Personen sind, so unterschiedlich sind auch die eigenen Erfahrungen mit Unterricht. Das gilt für alle Fächer, und damit auch für die Physik. Auf der Negativseite wird von nicht zeitgemäßen Lehrkräften, verrechneter Physik und fehlendem Bezug zum Leben berichtet. Doch auch Experimentierfreude und begeisternde Vermittlung der Lerninhalte können den Unterricht auszeichnen. So oder so unterscheidet sich der Physikunterricht, den die jetzt unterrichtenden Generationen als Schüler:innen erlebt haben, in vielen Aspekten vom Physikunterricht, den sie heute planen, umsetzen oder in Hospitationen beobachten.

Neue Möglichkeiten

Der Alltag der Schüler:innen hat sich gravierend verändert: Sie wachsen in einem digitalen Umfeld auf, das den Alltag bestimmt und einen unübersehbaren Einfluss auf ihre Motivation hat. Die Bereitschaft, sich mit klassischen und grundlegenden – und aus unserer Sicht nach wie vor notwendigen – Inhalten, wie beispielsweise der elektrischen Reihen- und Pa­ral­lel­schaltung oder dem elektrischen Feld eines Plattenkondensators, auseinanderzusetzen, ist weniger ausgeprägt, als man es sich wünschen würde. Zur Unterrichtsplanung gehört auch, eine Fragehaltung zu erzeugen und Motivation zu schaffen. Auch die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen unter den Schüler:innen beeinflussen die Unterrichtsgestaltung.

Versetzen wir uns in eine typische siebte Klasse mit 28 oder mehr Schüler:innen, die sowohl hinsichtlich des Leistungsvermögens, der Motivation, der Vorbildung als auch der körperlichen Entwicklung sehr heterogen sind. Die Erkenntnis, dass es im eigenen Zuhause Reihen- und Parallelschaltungen gibt, ist eher nachrangig. Die Tatsache, dass es Größen gibt, die diese Schaltungen beschreiben und voneinander abhängig sind, ist fundamental, den meisten Schüler:innen aber gleichgültig. Doch die Fragen, welches Risiko man eingeht, wenn man Mehrfachsteckdosen hintereinander schaltet, welche Schaltung sich bei den zwei Lichtschaltern im Flur verbirgt oder welche Rolle Kondensatoren in der Diskussion zur Energiewende spielen, können als Einstiegsimpulse für eine Auseinandersetzung mit elektrischen Schaltungen oder dem Plattenkondensator dienen.

Je nach Leistungsstand können die aufgeworfenen Fragestellungen untersucht werden: Idealerweise mithilfe eines Experiments, das die Schüler:innen selbst planen und anhand eines Protokolls bzw. differenzierten Arbeitsauftrags bearbeiten. Unterstützende Materialien, Lösungen oder vertiefende Informationen können mit QR-Codes auf den Arbeitsunterlagen bereitgestellt werden und sind somit niedrigschwellig zugänglich, sofern Digitalgeräte im Unterricht vorhanden und zugelassen sind. Auf Lernplattformen wie beispielsweise Moodle können Schüler:innen und Lehrkräfte die Ergebnisse austauschen und Korrekturen durchführen.

Zu vermitteln, wie richtig recherchiert werden kann, ist eine zentrale Aufgabe jedes Unterrichts. Die Lehrkraft oder das Schulbuch als Monopol der Wissensvermittlung haben allerdings ausgedient. Wissen ist schnell und im Überfluss verfügbar, wird aber leider oft unreflektiert angenommen, nicht kritisch hinterfragt oder geprüft. Hier konkurrieren Onlinevideos mit den Lehrkräften.

Innovative Technologien im Physikunterricht

Die Dynamik des digitalen Zeitalters hat dazu geführt, dass die herkömmlichen Lehrmethoden im Physikunterricht nicht mehr ausreichen, um das Interesse der Schüler:innen zu wecken. Es ist unabdingbar geworden, die Lehre interaktiv und multimedial zu gestalten. Deshalb darf sich Physikunterricht nicht nur auf das Bearbeiten von Arbeitsblättern oder auf Versuchsprotokolle beschränken. Selbst erstellte Videoprotokolle, das Vertonen stummer Videos, eigene Podcasts und Klassenblogs sind nur einige Möglichkeiten, die Ergebnisse des Physikunterrichts zu reflektieren, zu verbreiten und andere daran teilhaben zu lassen.

Zudem können Apps und Lernplattformen, die interaktive Experimente und Simulationen ermöglichen, Lernerfahrungen revolutionieren. Mit ihnen können komplexe physikalische Konzepte wie der genannte Plattenkondensator visualisiert und besser verständlich gemacht werden, indem Schüler:innen verschiedene Szenarien durchspielen und die Auswirkungen in Echtzeit beobachten. Dies fördert nicht nur das Verständnis, sondern steigert auch die Motivation, sich mit der Materie auseinanderzusetzen. Klassische Übungs- und Festigungsphasen können durch Quizplattformen abwechslungsreich gestaltet werden. In höheren Jahrgangsstufen erstellen die Schüler:innen die Quizfragen teilweise auch selbst.

Es gibt inzwischen zahlreiche außerschulische Lernorte, die Schüler:innen eine Annäherung an moderne physikalische Forschungsinhalte und einen direkten Kontakt mit Physik als Wissenschaft ermöglichen. Exemplarisch seien hier Initiativen wie „Light and Schools“ (Universität Hamburg) oder das DLR School Lab des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt genannt. So kann der Übergang vom Interesse an Alltagsphänomen zur eigenen wissenschaftlichen Arbeit gelingen.

In Ergänzung dazu bietet die Digitalisierung auch die Möglichkeit, Expert:innen aus anderen Standorten direkt in den Unterricht einzuschalten. Durch Videokonferenzen und andere Onlineplattformen können Schüler:innen von Fachwissen und Erfahrungen profitieren, die außerhalb ihres geo­gra­fischen Standorts liegen. Dies erweitert nicht nur den Horizont der Lernenden, sondern fördert auch den interkulturellen Austausch und die Vernetzung mit Gleichgesinnten und Fach­expert:innen weltweit.

Auswirkung auf die Unterrichtsplanung

Die Digitalisierung hat nicht nur direkte Auswirkungen auf die Lernenden, sondern auch auf die Lehrkräfte selbst. Digitale Werkzeuge und Plattformen erleichtern die Zusammenarbeit unter den Pädagog:innen immens. Gemeinsam können sie Unterrichtsmaterialien nicht nur effizienter planen und zusammenstellen, sondern diese auch kontinuierlich und kollaborativ weiterentwickeln. Dies fördert einen dynamischen Lehrplan, der sich an aktuelle Anforderungen anpasst, und schafft Raum für kreative und interdisziplinäre Unterrichtsansätze. Andererseits erreicht die Lehrkräfte damit auch die Beschleunigung der Arbeitsvorgänge durch die Digitalisierung, die in Wirtschaft und Verwaltung schon seit einigen Jahrzehnten sowohl die Produktivität als auch den Lern- und Geschwindigkeitsdruck auf die Mitarbeiter:innen erhöht.

Hat damit eine klassische Physiksammlung ausgedient? Nicht unbedingt. Es gibt einen Standard an klassischen Schulversuchen, den jede:r Schüler:in einmal durchgeführt haben sollte – dazu gehört auch die Parallel- und Reihenschaltung mit entsprechenden Messungen von Spannung, Stromstärke und Widerständen. Ergänzt und vertieft werden die Versuche aber durch Simulationen und die Recherche in digitalen Medien. Digitale Messwerterfassungssysteme und sogar das eigene Smartphone (z. B. mit der App PhyPhox, Sei-te 176) ermöglichen inzwischen Versuche, die früher in Schulen nicht möglich gewesen wären, und erleichtern den Einstieg in eine vertiefte Diskussion über die Versuche und die daraus gewonnenen Erkenntnisse.

Blick in die Zukunft

Während klassische Experimente ihren festen Platz im Physikunterricht haben und diesen auch beibehalten werden, könnten in Zukunft zusätzlich Technologien der Augmented Reality (AR) eingebunden werden. Sie verbinden die physische und digitale Welt miteinander und erweitern so den Lernprozess. Wenn durch den Einsatz von AR-Brillen in der siebten Klasse die Bewegung von Elektronen direkt in die reale Welt eingeblendet werden könnte, würde dies eine völlig neue Lern- und Verstehensebene eröffnen. Komplexe Modelle und abstrakte Konzepte würden auf einmal interaktiv erlebbar und somit verständlicher für die Schüler:innen werden.

Darüber hinaus ist es wichtig, Schüler:innen nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern sie auch zu kritischem Denken und zum eigenständigen Lösen von Problemen zu erziehen, auch hinsichtlich der eingesetzten Technik selbst. In einer Welt, die von Technologie durchdrungen ist, benötigen sie diese Fähigkeiten mehr denn je. Werkzeuge der künstlichen Intelligenz wie ChatGPT finden immer mehr Anwendungsbereiche. Wie sie dabei Schüler:innen im Lernprozess unterstützen und ihnen neue Perspektiven aufzeigen, wird zurzeit stark diskutiert und erprobt.

Zuletzt sollten wir uns auch fragen, ob die gegenwärtigen, traditionellen Prüfungsmethoden noch zeitgemäß sind, wo doch Informationen jederzeit und überall verfügbar sind und kollaboratives Arbeiten immer wichtiger wird. Möglicherweise könnte man stärker praxisorientierte, projektbasierte Prüfungsformate einführen, bei denen die Anwendung von Wissen und das Lösen realer Probleme im Vordergrund stehen.

Es liegt an uns, die Lücke zwischen der digitalen Welt, in der die Schüler:innen aufwachsen, und den immer noch vorherrschenden konventionellen Lehrmethoden zu überbrücken. Wir sollten uns als Vermittelnde zwischen den Schüler:innen und der Physik sehen, die diese in ihrer Alltagswelt erleben. Das setzt voraus, dass Physiklehrkräfte ihre eigene „physikalische“ Lernbiografie – so erfolgreich sie ihnen selbst auch vorkommen mag – kritisch reflektieren und unterschiedliche Lernwege konzipieren können, um der Heterogenität gerecht zu werden und den Physikunterricht abwechslungsreich zu gestalten. Ohne entsprechende fachliche und fachdidaktische Kompetenzen ist dies nur schwer möglich. Wie Albert Einstein schon zu sagen pflegte: „Die höchste Kunst der Lehre ist es, Freude am kreativen Ausdruck und Wissen zu wecken.“

Daniel Dohmen und Yvonne Struck