Wie sich das Leben entwickelt, hat der Naturforscher Charles Darwin bereits im 19. Jahrhundert in seiner Evolutionstheorie beschrieben. Aber wie hat das Leben begonnen? Wie konnten die ersten, einfachen Moleküle der frühen Erde diese Evolution von Mikroorganismen bis hin zu Tieren und Menschen in Gang setzen?

Die Trägerin der Erbinformation in allen Lebewesen ist heute die Desoxyribonukleinsäure (DNA). Aus diesem Molekül werden mithilfe der Ribonukleinsäure (RNA) Baupläne für Proteine ausgelesen. Ohne Proteine wiederum wäre kein biologisches Leben möglich. Doch RNA hat auch noch weitere Funktionen: Sie kann beispielsweise biochemische Reaktionen beschleunigen. In Viren ist die RNA sogar selbst Trägerin der Erbinformation.
Einer mittlerweile stark vertretenen Hypothese zufolge ist die RNA nicht irgendein wichtiges Biomolekül, sondern das älteste Molekül überhaupt, das genetische Information tragen kann und gleichzeitig biochemische Reaktionen antreibt. In der RNA liegt demzufolge der Ursprung des Lebens. Wie aber konnten die RNA-Sequenzen sich erhalten und weiterentwickeln? Erst wenn wir diese molekulare Evolution der RNA verstehen, werden wir auch begreifen, wie das Leben auf der frühen Erde entstanden ist – und dabei hilft uns Physik.
Die RNA besteht aus vier elementaren Bausteinen, den Basen Guanin, Cytosin, Adenin und Uracil oder kurz G, C, A und U, entlang einer Ribose-Zucker-Phosphat-Kette. Sie ist relativ stabil gegen UV-Strahlung, zerfällt aber bei hohen Salzkonzentrationen und Temperaturen leicht wieder in die einzelnen Bestandteile. In Zellen verwenden große Moleküle – die Ribosomen – die RNA dazu, Aminosäuren in der richtigen Reihenfolge zu Proteinen zusammenzusetzen. Der genetische Code hierzu wird auch durch RNA definiert.
Die Entstehung von Leben im Labor
Bemerkenswert ist, dass RNA viel instabiler ist als ihre Nachfolgerin DNA. Doch genau dieser Umstand könnte zu ihrer Evolution beigetragen haben: Anfangs fügten sich die vier RNA-Bausteine zu zufälligen Sequenzen zusammen. Durch wiederholtes Auftrennen und Wiederverketten könnten dann komplexere Moleküle wie das Ribosom – die Proteinbaumaschine – entstanden sein.
Solche wiederholten Kreisläufe von Auf- und Abbau der RNA kommen nicht im thermodynamischen Gleichgewicht zustande. Wissenschaftler:innen suchen also nach Orten auf der frühen Erde, in denen ein thermodynamisches Ungleichgewicht aus geologischer Sicht aufgetreten sein konnten: Sie könnten die Ursprungsorte des Lebens gewesen sein. Der Fantasie sind hier kaum Grenzen gesetzt: Um die ersten Schritte hin zum Leben im Labor nachzustellen, erzeugen Forschende mikroskopisch kleine Trocken-Nass-Kreisläufe.
Viele biologische Moleküle zerfallen im Wasser. Erst durch dessen Entzug werden aus einzelnen RNA-Bausteinen RNA-Sequenzen und aus einzelnen Aminosäuren die Ketten der Proteine. Demnach lässt sich in einem Wasser-Dampf-Kreislauf wiederholt RNA akkumulieren und wieder auftrennen. Auch die Oberflächenspannung des Wassers, die vielfältigen Bindungsmöglichkeiten zwischen RNA und die Bewegung der Moleküle in Temperaturgefällen werden ausgenutzt, um Nichtgleichgewichtssituationen im Labor zu schaffen, die die Evolution von RNA in Gang setzen.
Auf diese Weise wachsen aktivierte RNA-Basen schon innerhalb von 24 Stunden zu Ketten zufälliger Sequenzen an. Die frühe molekulare Evolution könnte demnach anfangs sehr schnell abgelaufen sein – möglicherweise innerhalb von Wochen oder Monaten. Dadurch besteht eine realistische Chance, diese ersten Schritte im Labor in Echtzeit zu beobachten.
Um die Evolution in Gang zu halten, müssen passende Bedingungen geschaffen und Synergien ausgenutzt werden. Da die Funktion der RNA in biologischen Zellen darin besteht, aus Aminosäuren Proteine herzustellen, liegt es nahe, beide Molekülklassen von Anfang an miteinander zu kombinieren. Läuft die RNA-Polymerisation beispielsweise viel besser ab, wenn die Bausteine der Proteine, die Aminosäuren, dabei sind? Oder unterstützt RNA die Polymerisation von Aminosäuren? Hinweise auf solche Synergieeffekte wurden kürzlich gefunden.
Geologische Voraussetzungen

Lebewesen bauen Strukturen auf – und zerfallen in tote Systeme, wenn sie dem thermodynamischen Gleichgewicht zustreben. Damit Leben entstehen kann, muss es weit weg vom Gleichgewicht gehalten und permanent angetrieben werden. Bei der Frage nach dem Ursprung des Lebens steht daher das Nichtgleichgewicht im Mittelpunkt des physikalischen Interesses. Solche Nichtgleichgewichtssituationen können sehr vielfältig sein. Beispiele sind Gefrier- und Auftauprozesse, Feuchtigkeitsschwankungen im Tag-Nacht-Zyklus, Wärmeflüsse, welche Moleküle durch Temperaturunterschiede anreichern, oder Kapillarströmungen an lokal verdampfenden Luft-Wasser-Grenzflächen. Es sollte sich aber um Bedingungen handeln, die für die Geologie eines frühen Planeten prinzipiell möglich sind – und gleichzeit ihre molekulare Information erhalten lassen.
Die Bedingungen erfordern ein ausgewogenes Zusammenspiel molekularer Kräfte. Die Moleküle müssen so konzentriert sein, dass sie schnell miteinander reagieren und polymerisieren können. Dabei müssen Abfallmoleküle abgegeben und neue Moleküle aufgenommen werden. Zum Beispiel muss ein mehrfacher Zyklus möglich sein, der die einzelnen Stränge der RNA erst zusammenfügt, und sie dann wieder in einzelne Stränge trennt, damit neue Kopien hergestellt werden können.
DNA kann mit einer Polymerase-Kettenreaktion (PCR), wie sie auch in Virentests eingesetzt werden, vervielfältigt werden. Dies erfolgt durch eine mikroskopische thermische Konvektion zwischen 60° und 95° Celsius, da die DNA dann zwischen Einzel- und Doppelsträngen hin- und herpendelt. Allerdings funktioniert die Vervielfältigung nur mithilfe eines Proteins – also eines Moleküls, das erst viel später in der Evolution entstanden ist. Ohne Proteine wird die Vervielfältigung schwierig. RNA benötigt für den, zumal sehr langsamen, Kopiervorgang hohe Salzkonzentrationen. Zusammen mit hohen Temperaturen führt dies dazu, dass die Moleküle in RNA-Basen zerfallen, anstatt sich in einzelne Stränge aufzuspalten. Die präbiotische Replikation muss zum Beispiel schon bei kleineren Salzkonzentrationen ablaufen, damit die Stränge getrennt werden können.
Theoretische Untersuchungen und weitere Perspektiven
Auch theoretische Untersuchungen haben auf diesem Gebiet eine sehr erfolgreiche Tradition – unter anderem kommen kinetische Ratengleichungen, Spieltheorie und stochastische Simulationen zum Einsatz. Allerdings sind molekulardynamische Berechnungen für RNA sehr aufwendig. Die Möglichkeiten, eine RNA-Sequenz zu bauen, wächst nämlich exponentiell mit ihrer Länge. Das macht die Simulation der chemischen Evolution mit Computern herausfordernd. Dennoch hat der Aufbau von komplexen Nanostrukturen durch Faltung von DNA („DNA-Origami“ auf Seite 150) gezeigt, dass sich auch solche Prozesse und Selbstorganisation verstehen lassen.

Weitere Fortschritte auf diesem Gebiet würden uns nicht nur Aufschluss über den Ursprung des Lebens auf der Erde geben, sondern auch erlauben, die Wahrscheinlichkeit von Leben auf anderen Planeten abzuschätzen. Dazu sind komplexe und vielfältige Experimente notwendig, um alle möglichen Hypothesen über die Entstehung des Lebens zu testen und zu kombinieren. Im besten Fall passen diese Untersuchungen zu astrophysikalischen Beobachtungen der Atmosphären von Exoplaneten – auch wenn Leben oft Milliarden von Jahren braucht, um eine Atmosphäre zu verändern.
Laborexperimente zum Ursprung des Lebens werden uns noch lange neue Erkenntnisse darüber liefern, wie Leben mit minimalen Mitteln entstehen konnte – bis hin zu der Aussicht, durch Rekonstruktion der Evolution wesentlich effizientere Moleküle zu züchten. Ein vielversprechender Kandidat dafür ist nicht zuletzt das RNA-Molekül Ribosom, das seit Milliarden von Jahren Proteine herstellt.